Ökologische Alltagsbeobachtungen: an Chilis knabbernde Rehe als Zeichen von zu großen Populationen?

Selektiver Wildschaden (Verbiss): Eine fast vollständig entlaubte Chili-Pflanze (Sorte: Jamy), deren Früchte verschont wurden.


Etwas verärgert war ich in diesem Herbst wegen Fraß-Schäden (Verbiss) an den Rosen in unserem Garten. Hier wurden die jungen Triebe und Knospen abgeweidet und an einigen weiteren Topfpflanzen. Da wir Rehe in unserem Garten beobachtet haben – wenn wir sie auch nicht auf frischer Tat ertappen konnten – halte ich sie für die wahrscheinlichste Schadensursache. Die Beschäftigung mit solchen Problemen könnte man durchaus als albernes Spießertum interpretieren.

Allerdings scheint es so zu sein, dass Wild in Europa zunehmend zu Problemen in der Land- und Forstwirtschaft führt (Carpio et al., 2021). In der Fachliteratur wird hier von „overabundance“ gesprochen. Diese ergibt sich allerdings nicht allein durch die Größe einer Wildtier-Population sondern zusätzlich durch den objektiv gemessenen Schaden und der subjektiven Betroffenheit von Interessensgruppen wie Landwirt*innen und Gärtner*innen. Und ich war – ganz spießbürgerlich – durchaus verärgert über den Wildverbiss, habe mich aber auch über den Anblick der schönen Rehe gefreut.

In Waldökosystemen kann overabundance unter Umständen aber zu schwerwiegenderen Problemen führen. Die natürliche Verjüngung von Wäldern durch nachwachsende Baumsämlinge und auch die Baumarten-Zusammensetzung von Wäldern kann durch Wildverbiss beeinflusst werden, was wiederum für die Resilienz von Waldökosystemen zu einem Problem werden kann (Reimoser and Gossow, 1996). In unmittelbarer Nähe zu unserem Garten findet man z.B. Eichen mit einem auffälligen Wuchs. Diese Eichen haben eine auffällig niedrige und gedrungene Wuchsform. Ob dies auf Wildverbiss oder andere Umwelteinflüsse zurückzuführen ist, kann ich momentan aber nicht beurteilen. Man sollte also keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber ökologische Alltagsbeobachtungen können faszinierend sein und anregen sich mit den Lebewesen, mit denen wir leben und Ökosystemen in denen wir leben, stärker auseinanderzusetzen. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW hat einige Informationen zur Verhütung von Wildschäden im Wald aufbereitet.

Eine weitere ökologische Alltagsbeobachtung in unserem Garten gibt der Sache noch eine zusätzliche und sprichwörtliche Würze. Ein etwas kurioses Bild gaben nämlich meine Chilipflanzen in diesem Herbst ab. Sie waren fast komplett entlaubt aber die Früchte hingen noch an den Pflanzen. Sehr wahrscheinlich hat sich hier ein Reh die Blätter schmecken lassen aber die Früchte verschmäht. Dies ist kein Wunder, da Chilis Capsaicin enthalten und dies ein Wirkstoff ist, der von den Chilis als selektiver Fraß-Schutz gegen Säugetiere evolviert wurde (Tewksbury and Nabhan, 2001). Ausschließlich Säugetiere können durch ihre Schmerzrezeptoren Capsaicin wahrnehmen, nicht aber Vögel, durch die sich Chilis natürlicherweise ausbreiten. Ob sich Capsaicin wohl als natürlicher Wirkstoff gegen Wildschäden in Gärten einsetzen ließe? Dazu habe ich eine Studie ausgegraben, die erhebliche negative Effekte von Capsaicin auf Wildverbiss belegen konnte (Andelt et al., 1994). Allerdings können Gewöhnungseffekte auftreten und es ergibt sich die Frage, wie effektiv ein natürliches Pflanzenschutzmittel unter natürlichen Bedingungen sein kann, z.B. bei starken Niederschlägen, die den Wirkstoff verdünnen.

Literatur

Andelt, W.F., Burnham, K.P., Baker, D.L., 1994. Effectiveness of capsaicin and bitrex repellents for deterring browsing by captive mule deer. J. Wildl. Manag. 330–334.

Carpio, A.J., Apollonio, M., Acevedo, P., 2021. Wild ungulate overabundance in europe: contexts, causes, monitoring and management recommendations. Mammal Rev. 51, 95–108.

Reimoser, F., Gossow, H., 1996. Impact of ungulates on forest vegetation and its dependence on the silvicultural system. For. Ecol. Manag. 88, 107–119.

Tewksbury, J.J., Nabhan, G.P., 2001. Directed deterrence by capsaicin in chillies. Nature 412, 403–404. https://doi.org/10.1038/35086653

2 Antworten auf „Ökologische Alltagsbeobachtungen: an Chilis knabbernde Rehe als Zeichen von zu großen Populationen?

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  1. Im heurigen Herbst war in einigen Regionen geprägt durch den frostbedingten Ausfall von Fallobst. Ich glaube, dass auch das ein Grund dafür ist, dass Rehe (und auch andere Tiere) verstärkt „Alternativen“ suchen

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