Die Backkampagne für Weizenpopulationen als Meilenstein für die Agrarökologie und unser Ernährungssystem

Hier sieht man die Krume einer der ersten Brote aus der Backkampagne Pop-Kruste für Weizenpopulationen. Gebacken in der Backwerk Demeter Bäckerei von Christian Lecht. Fotografiert von Capture Moments.


Für die Frage, wie wir mehr Vielfalt in die Landwirtschaft bekommen, gibt es eine schier unendliche Menge an wissenschaftlichen Fachpublikationen mit vielen empirischen Ergebnissen und Konzepten zur Vielfalt in der Landwirtschaft. Geht es dann aber in die Praxis, wird die Luft relativ schnell sehr dünn. Vor allem, wenn es um Ansätze geht, die über die durch EU-Normen und Fachverbände regulierte Ökolandwirtschaft hinausgehen. Mehr biologische Vielfalt im landwirtschaftlichen Produktionssystem selbst – also nicht als kurz angelegter Blührandstreifen – scheint der Rationalität von Produktionssystemen zuwider zu laufen. Vielfalt schafft heterogene Produktionsbedingungen, heterogene Qualität oder kurz Chaos, welches durch einen erhöhten Aufwand im Management ausgeglichen werden muss. Mögliche Vorteile, wie eine verbesserte Pflanzengesundheit, stärkere Unkrautunterdrückung und Ertragsstabilität und damit ein geringerer Bedarf an Pflanzenschutzmaßnahmen werden zwar anerkannt. Diese werden allerdings oft gegenüber den Herausforderungen des Managements der biologischen Vielfalt als unzureichend betrachtet. Um den praktischen Gegenbeweis anzutreten, hat ein Team der Universität Kassel im Fachgebiet Ökologischer Pflanzenschutz (Odette Weedon) und Betriebswirtschaft (Torsten Siegmeier) zusammen mit Landwirt*innen, Mühlen und Bäckereien die Backkampagne Pop-Kruste in Deutschland gestartet. Deutschlandweit kann man in 13 Bäckereien Brote kaufen, die aus dem Mehl von Weizenpopulationen gebacken wurden. Eine Tabelle mit allen Bäckereien findet man am Ende dieses Artikels.

Weizenpopulationen sind im Gegensatz zu Weizenstandardsorten genetisch divers bzw. heterogen. Sie bestehen aus Tausenden von einzelnen Weizenpflanzen, die die Population aufbauen. Dies kann man auch direkt erkennen, wenn man auf dem Acker steht (siehe Foto in der Galerie unten). Je nach Art der Weizenpopulationen unterscheiden sich die Pflanzen in ihrer Höhe, der Ährenfarbe oder weniger sichtbar aber genauso wichtig in den Resistenzen gegen Pathogene und ihren Wurzeleigenschaften. Dies kann zu einer Reihe von Vorteilen führen vor allem zu einer besseren Pflanzengesundheit und Ertragsstabilität (Literatur zu dieser Thematik und allen anderen fachlichen Aspekten dieses Beitrags habe ich am Ende des Artikels eingefügt). Die Zusammenarbeit agrarökologischer Forscher*innen mit Akteur*innen aus der Wertschöpfungskette ist ein zentraler strategischer Schritt, um agrarökologische Ansätze und mehr biologische Vielfalt in die Praxis und bis zu den Konsument*innen zu bringen.

Damit ist der Start dieser Backkampagne ein wirklicher Meilenstein für die agrarökologische Forschung, die landwirtschaftliche Praxis, die Lebensmittelverarbeitung und damit unseres Ernährungssystems als Ganzes. Viele wissenschaftliche Ideen enden mit der Publikation in einer Fachzeitschrift. Die Weizenpopulationen nicht. Seit einiger Zeit gibt es in der Agrarökologie einen sogenannten food-system-turn, in dem davon ausgegangen wird, dass man nur in der Zusammenarbeit mit Akteur*innen der Wertschöpfungskette agrarökologische Konzepte in die Praxis bringen kann. Dieser Ansatz findet seine praktische Umsetzung in dieser Backkampagne. Damit öffnet sich auch die Tür für neue Ideen von Bäcker*innen aber natürlich auch auf der Ebene der Vermarktung und Kommunikation, die die Weizenpopulationen bereichern können. Es gibt durchaus eine Reihe von Herausforderungen für die Weizenpopulationen, z.B. die Verknüpfung von Diversität mit Zuchtfortschritt und moderner Genetik. Diese Herausforderungen können aber nur gemeistert werden, wenn auf der Nachfrageseite von Bäckereien und Konsument*innen Vielfaltsweizen eine starke Wertschätzung erfährt und dadurch neue Ressourcen für diese Herausforderungen frei werden. Hoffentlich findet ihr in eurer Umgebung eine beteiligte Bäckerei und könnt das Brot verkosten. Die nächste beteiligte Bäckerei ist leider 170 Kilometer entfernt von meiner Heimat Essen in Lemgo. Aber in meiner Zeit in Witzenhausen durfte ich im Labor von Maria Finckh einige Male probieren. Drei weitere Fotos von Maria Finckh von Backversuchen findet man in der Fotogalerie unten. Das hat ziemlich gut geschmeckt und ich wäre sehr gespannt zu verkosten, was professionelle Bäckereien hieraus zaubern können.

Beteiligte Bäckereien

BäckereiOrt
Demeter Bäckerei BackwerkHannover
Bucks BackparadiesHannover und Umgebung
Biobäckerei MeffertLemgo und Umgebung
Das BackhausWitzenhausen/Göttingen
Brothof WaakeGöttinger Markt am Samstags oder Hofladen in Waake
HennerbrotWitzenhausen Markt am Freitag
Bäckerei Fink Backen mit Liebe und ZeitSteinau an der Strasse
Vollkornbäckerei Ernst KöhlerWürzburg
Bäckerei WeberWinnenden
KönigsbäckStuttgart
Vollkornbäckerei BergerReutlingen
Lokalbäckerei BrotzeitGrünwald
Arnd ErbelDachsbach

Fachliteratur

Zu den agronomischen Vorteilen von Weizenpopulationen

Weedon, O. D., and Finckh, M. R. (2019). Heterogeneous Winter Wheat Populations Differ in Yield Stability Depending on their Genetic Background and Management System. Sustainability 11, 6172.

Weedon, O. D., and Finckh, M. R. (2021). Response of wheat composite cross populations to disease and climate variation over 13 generations. Front. Agric. Sci. Eng. 8, 400–415. doi:10.15302/J-FASE-2021394.

Zu den generellen Vorteilen von Diversität im Pflanzenschutz

Finckh, M., Junge, S., Schmidt, J., Šišić, A., and Weedon, O. (2021). lntra- and interspecific diversity – the cornerstones of agroecological crop health management. in Aspects of Applied Biology, 193–206.

Zum food-system-turn in der Agrarökologie

Francis, C., Lieblein, G., Gliessman, S., Breland, T. A., Creamer, N., Harwood, R., et al. (2003). Agroecology: the ecology of food systems. J. Sustain. Agric. 22, 99–118.

Gliessman, S. R. (2015). Agroecology: the ecology of sustainable food systems. Boca Raton, Florida, USA: CRC press.

Zur Kombination von Diversität und Zuchtfortschritt bei Weizenpopulationen

Timaeus, J., Weedon, O. D., and Finckh, M. R. (2021). Combining Genetic Gain and Diversity in Plant Breeding: Heritability of Root Selection in Wheat Populations. Sustainability 13, 12778. doi:10.3390/su132212778.

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