Inspirationen aus Budapest von der European Conference on Crop Diversification

Phil Howard erläutert am Beispiel der Bierindustrie den Teufelskreis aus industrieller Dominanz sowie Widerstand und Alternativen, die letztlich doch wieder vereinnahmt werden.


In Budapest hatte ich gerade die Gelegenheit an einer spannenden und inspirierenden Veranstaltung teilzunehmen, der European Conference on Crop Diversification. So langsam scheint sich eine schlagkräftige community rund um das Thema Diversifizierung in der Landwirtschaft zu bilden und ich werde definitiv einiges an neuen Ideen und vor allem Energie mitnehmen. Eine englische Version dieses Beitrages findet ihr auf der Seite des Crop Diversification Clusters und einen Kurzbericht der Konferenzorganisator*innen hier.

Seed to Kitchen: partizipative Züchtung in Wisconsin

Julie Dawson von der Universität Wisconsin ist eine echte Inspiration. Besonders spannend ist ihr partizipatives Züchtungsprojekte Seed to Kitchen. Hier werden Zuchtlinien und Sorten gemeinsam von Züchtern, Gärtnern, Köchen und Wissenschaftlern untersucht, angebaut und verkostet. Am Anfang stand natürlich die Frage, was eigentlich eine gute Sorte ist. Daraufhin wurden Gärtner*innen befragt, was ihre entscheidenden Kriterien für die Wahl von Gemüsesorten sind, wobei sich Geschmack, Krankheitsresistenzen und Ertrag als die drei wichtigsten Kriterien herausstellten. Mit dabei ist übrigens auch Jim Meyers, der an der Züchtung der blauen anthocyanhaltigen Tomate Indigo Rose beteiligt war. Besonderes Augenmerk liegt in der Zusammenarbeit mit kleinen Gärtnereien, die lokale Märkte und Restaurants versorgen. Die Bedürfnisse von ihnen werden nach Dawsons Aussagen durch die großen Züchter nicht gut bedient. In diesem Projekt finden auch umfangreiche Verkostungen statt, die mit einfachen und nicht so ressourcen-hungrigen aber methodisch stringenten Methoden durchgeführt und ausgewertet werden (rapid sensory assessment/profiling). Dawson und Healy (2018) geben in ihrem Artikel eine gute Übersicht zu diesen Methoden. Interessant ist auch das Internetinterface Seedlinked, das dazu dient die on-farm Daten zu erfassen aber auch automatisch aufzubereiten und so den crowdsourcing Gedanken effektiv umzusetzen. So können alle Beteiligten direkt die Ergebnisse aller Gärtner*innen sehen. Seed to Kitchen ist ein interessanter Ansatz das Verhältnis von Menschen und Kulturpflanze weiterzuentwickeln. Es kommen zwar moderne Technologien zum Einsatz aber Pflanzen und Menschen stehen im Mittelpunkt. Das ist ein ganz anderer Ansatz als das rein technologie- und produktivitätsgetriebene Vorgehen vieler großer Zuchtunternehmen. Mehr Details über die Seed to Kitchen Initiative inklusive einer selbstkritischen Reflexion findet man bei Healy und Dawson (2019, leider hinter einer Paywall aber es gibt ja andere Wege…)

Der Teufelskreis aus industrieller Dominanz, Widerstand und Vereinnahmung

Phil Howard Beitrag war einerseits sehr erhellend, unterhaltsam aber auch widerstands-stiftend. Es ging darum, wie sich gegenüber problematischen dominanten gesellschaftlichen Entwicklungen und Institutionen Alternativen und Widerstände entwickeln, nur um dann von diesen ko-optiert (vereinnahmt) zu werden. Letztlich frisst der Kapitalismus jede Ideologie, ein Teufelskreis, der zu einer perversen Resilienz gesellschaftlicher Institutionen führt. Als konkrete Beispiel nannte er den Saatgutmarkt, die Tierzucht und die Bierindustrie. Er zeigte eindrucksvoll, wie sich gegen die dominante amerikanische Bierindustrie eine Gegenbewegung aus kleinen Craft Brauereien entwickelte, in die sich die alte Industrie dann wieder eingekauft hat, ohne dass dies für den Konsumenten sichtbar ist (stealth ownership). Mehr Infos dazu und auch aktuelle Zahlen zur Entwicklung der Saaatgutindustrie findet man auf seiner Webseite. Auch die sich momentan entwickelnde ökologische Züchtung wird sich mit Vereinnahmungs-Strategien auseiandersetzen müssen, wenn sie wächst.

Community seedbanks und Erhalterringe

Spannend fand ich auch einen Beitrag von Judith Fehér (Fehér et al. 2019) zu community seedbanks in Europa . Zur Zeit bereiten sie eine Studie vor bei der sie die community seed banks anhand ihrer Organisationsstruktur, Finanzierung und vor allem auch ihr Managementsystem für die genetischen Ressourcen untersuchen. Das ist besonders für unsere Bohnen- und Tomatenfachgruppe im VEN interessant, die gerade dabei sind ein neues partizipatives Erhaltungssystem – die sogenannten Erhalterringe – zu etablieren.

Züchtung für Mischkulturen

Ein weiteres interessantes Thema war die Züchtung von Sorten für Mischkulturen. Bisher hat sich die Pflanzenzüchtung sehr stark auf die Züchtung von Sorten für Monokulturen konzentriert. Wie kann man z.B. Sorten finden, die in Mischungen gut zusammenpassen und welche Selektionskriterien brauchen wir in der Züchtung für Mischungen? Die Züchtung für Mischungen ist mit einigem Aufwand verbunden, da es Unmengen an Arten- und Sortenkombinationen, Aussaatstärken und räumlichen Anordnungen gibt. Benedikt Haug vom FiBL in der Schweiz hat seine Arbeiten hierzu vorgestellt (Haug et al 2019). Einerseits braucht man hierfür geeignete experimentelle Designs die den Aufwand in Grenzen halten (incomplete factorial designs) andererseits neue statistische Modellierungsätze um die „Allgemeine Mischbarkeit“ von Sorten (General Mixing Ability, GMA) zu bestimmen. Andererseits ist es auch sinnvoll die Effekte einer Sorte auf den Mischungspartner (associate effect) mit in die Sortenbewertung miteinzubeziehen. Außerdem gab es noch einen Workshop zur Züchtung von Mischkulturen. Benedikt Haug hat hier z.B. die Arbeiten in dem Züchtungsbetrieb von Peter Kunz vorgestellt. Hier werden Sommererbsen in und für Mischungen mit Gerste gezüchtet. In dem Workshop ging es vor allem darum, wie man die Züchtung für Mischungen voranbringen kann. Ein zentraler Aspekt ist es sicher die Komplexität von Mischungen handlebar zu machen und den Züchtungsaufwand einzugrenzen (s.o.). Experimente einfacher Mischungen könnten z.B. durch Modellierung komplexerer Mischungen ergänzt werden. Die Identifikation für die Mischung wichtiger funktionaler Eigenschaften und Prinzipien wären weitere Ansätze. Sehr fruchtbar ist sicherlich die Zusammenarbeit zwischen Pflanzenökologen und Züchtern aber auch der Einsatz moderner Phänotypisierungsplattformen, die bisher weitgehend für die konventionelle Züchtung eingesetzt werden. Auch die Plastizität von Pflanzen spielt eine Rolle für Mischkulturen. Vorläufige Ergebnisse unserer Experimente an der Uni Kassel/Witzenhausen zeigen, dass die Blattfläche im Mittel bei den meisten Weizensorten zunimmt (Timaeus et al. 2019, vielen Dank übrigens an Anne Kurz, die über dieses Studie ihre Abschlussarbeit schreibt und hervorragende Arbeit leistet). Die Pflanzenhöhe nimmt in den Mischungen dagegen nur bei einer der untersuchten Sorten zu (Fotos unten). Die Zunahme von Blattfläche und Pflanzenlänge ist möglicherweise ein Phänomen, das als Schattenflucht bezeichnet wird.

Die Finanzierung von Züchtungsforschung und Züchtungspraxis für Mischkulturen ist natürlich auch ein wichtiges Thema. Das sich hier große Züchtungshäuser ernsthaft engagieren, ist wohl kaum zu erwarten.

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Entsteht eine schlagkräftige Diversifizierungs-Community?

Diese Konferenz und der Prozess erinnern mich ein wenig an die historischen Ereignisse in den 1980igern, die dazu führten, dass das Konzept der Biodiversität in das Gesellschaftliche Bewusstsein rückte  und auch zu institutionellen und politischen Änderungen führte (Takacs 1996).  Es entstand das neue Brücken-Konzept der Biodiversität und eine dazugehörende community, welche verschiedene wissenschaftliche Disziplinen aber auch politisches und zivilgesellschaftliches Engagement verbanden. Dies hatte dann auch gesellschaftliche Auswirkungen, wie z.B. den Beschluss der Biodiversiätskonvention 1992 in Rio de Janeiro oder aber auch die Einführung der FFH-Richtlinen (Naturschutz) in der EU.  Die gesellschaftliche „Bewusstwerdung“ der Biodiversität hat aber auch den Weg dafür bereitet, dass wissenschaftliche Erkenntnisse wie die Krefeldstudie zum Insektensterben gesellschaftliche Aufmerksamkeit finden. Vielleicht wird das Konzept der Diversifizierung diesmal im Agrar- und Lebensmittelbereich eine ähnliche Wirkmacht entfalten, wie im Bereich der Ökologie und des Naturschutzes. Allerdings sehe ich auch einige Unterschiede. Die technologische Entwicklung ist weiter, die Weltbevölkerung Größer und die Auswirkungen des Klimawandels sind mittlerweile noch deutlicher spürbar. Ein wichtiger Schritt in der Stärkung der Diversifizierungs-Community ist sicherlich auch die Bildung des Crop Diversification Clusters. Das ist ein Zusammenschluss von Forschungsprojekten, die Diversifizierungstrategien in der Landwirtschaft untersuchen. Dieser Cluster wird vor allem von Antoine  Messéan (INRA, Frankreich) vorangetrieben.

Widerstand gegen sich selbst

Es ist also noch dringlicher wirklich Widerstand gegen obsolete gesellschaftliche Strukturen und Verhaltensweisen zu leisten und sich nicht ko-optieren zu lassen. Besonders im eigenen Alltag ist dies schwer. Das hat man auch auf der Konferenz gesehen, wo sich viele Menschen gerne an dem mit vielen tierischen Produkten bestückten Konferenzbuffet bedient haben, während auf den Vorträgen der problematische Fleischkonsum thematisiert wurde. Ich selbst habe mich auch reichlich an der Käseplatte bedient. Man konnte zwar vorab auch vegetarische Optionen buchen. Wie wäre es aber das einfach umzudrehen und vegetarisches Essen zum Standard zu machen und den Fleisch-Esser*innen die Option zu geben eine Fleischmahlzeit zu verlangen? Bei der Buchung der Reise habe ich auch zuerst nach Flügen geschaut, da mir dies bei der Distanz Witzenhausen-Budapest am bequemsten erschien. Ein Kollege hat aber coolerweise eine gute Zugverbindung ausfindig gemacht, während der ich nun diese Zeilen schreibe. Vielleicht sollte ich – wie ein guter Freund von mir – Fliegen einfach ganz streichen. Widerstand gegen mich selbst. Mal sehen…

Literatur

Dawson, J. C., & Healy, G. K. (2018). Flavour Evaluation for Plant Breeders. Plant Breed Rev, 41,

Fehér, Judith, Bela Bartha, Maarit Heinonen, Nigel Maxted, und Shelagh Kell. „Towards effective networking for crop diversity in Europe“. Budapest, 2019.

Haug, Benedikt, Monika Messmer, Emma Forst, Tristan Mary-Huard, Jerome Enjalbert, Isabelle Goldringer, und Pierre Hohmann. „Development of genetic models to breed for mixed cropping systems“, 239–40. Budapest, 2019.

Healy, G. K., & Dawson, J. C. (2019). Participatory plant breeding and social change in the Midwestern United States: perspectives from the Seed to Kitchen Collaborative. Agriculture and Human Values, 1-11.

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