Hier sieht man eine Wiederholung eines vierfach wiederholten Versuches, in dem züchtungsrelevante Fragestellungen zu Mischkulturen untersucht werden. Versuchsbetrieb Neu Eichenberg, Fachbereich 11, Ökologische Agrarwissenschaften, Universität Kassel.


Die ökologische Pflanzenzüchtung sieht sich einer Reihe von Herausforderungen gegenüber. Eine ist das Zusammenbringen von Vielfalt und Zuchtfortschritt. Hier geht es um die bioökologischen Grundlagen der Züchtung sowie Methoden und Züchtungstechniken. Eine etwas weniger glamouröse aber doch ebenso wichtige Herausforderung ist die Finanzierung ökologischer Züchtung. Die ökologische Züchtung braucht mehr Schlagkraft, aber auch weltanschauliche und methodische Vielfalt, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen und hierbei sind neue Finanzierungsmodelle ein wesentliches Element. Professionelle Züchtung ist aufwendig, da diese Feldexperimente, Felderhebungen und evtl. Laboruntersuchungen nutzt, die viel Arbeitskraft, Zeit und teilweise auch Technik (auf dem Acker oder im Labor) erfordern. Im Fachgebiet Ökologischer Pflanzenschutz (Uni Kassel, Foto oben) kann ich zur Zeit hautnah den Aufwand solcher Versuche erleben.

Ein wirtschaftlich sehr erfolgreiches Modell der Züchtung ist aus ökologischer Perspektive extrem kritisch zu betrachten: die Verquickung der chemischen Industrie mit Züchtungsunternehmen unter einem Dach und der sich in den letzten Jahren abzeichnenden Monopolisierung in diesem Bereich durch Firmenübernahmen oder Fusionen. Dadurch werden Züchtungsexpertise und Eigentumsrechte an genetischem Material in großen Konzernen monopolisiert und damit auch die strategische Ausrichtung der Züchtung: was sind wichtige Züchtungsziele (Ökologie, Ertrag, Qualität) und was sind vielversprechende und ethisch vertretbare Methoden (Kreuzung, Gentechnik etc.)?

Mittlerweile gibt es durchaus einiges an ökologischer Züchtung und auch hier interessante und recht erfolgreiche Geschäftsmodelle, z.B. die Konstellation aus Kultursaat als Züchtungsverein, in dessen Rahmen kleine Züchtungsbetriebe agieren, Gelder sammeln und verteilen und der Bingenheimer AG, die Saatgutproduktion und Vermarktung übernehmen und auch einen sogenannten Sortenentwicklungsbeitrag an die Züchter*innen leistet. Trotzdem ist dieses Modell limitiert, z.B. ist es überwiegend auf Gemüsekulturen beschränkt und die finanziellen Ressourcen sind immer noch (gemessen an der Aufgabe) begrenzt (siehe unten). Hinzu kommt außerdem, dass die ökologische Züchtung stark durch die Pionierarbeit anthroposophischer Personen und Institutionen (wie Kultursaat und in Teilen Bingenheimer) geprägt ist. In der ökologischen Züchtung kann man sich durchaus etwas mehr weltanschauliche und methodische Vielfalt wünschen. Die Open Source Seeds Initiative und ihre Open Source Lizenz ist hier interessant. Diese Initiative konzentriert sich vorwiegend auf den Schutz genetischer Ressourcen vor eigentumsrechtlicher Vereinnahmung und der expliziten Vermarktung von Open Source Saatgut unter diesem Aspekt. Es fehlt aber bisher ein komplementäres Finanzierungsmodell.

Ökologische Pflanzenzüchtung als gesellschaftliche Aufgabe

In diese Bresche springt ein neues Papier von Johannes Kotschi und Lea Doobe mit dem Titel „Vielfalt ermöglichen – Wege zur Finanzierung der ökologischen Pflanzenzüchtung„. Kotschi und Doobe nach beträgt das jährliche Budget in der Ökozüchtung 5 Millionen Euro mit einem jährlichen Zuwachs von 10%. Dies entspräche den Autoren nach 2% der konventionellen Gemüsezüchtung in den Niederlanden.

Kotschi und Doobe argumentieren: „Pflanzenzüchtung ist mehr als eine betriebswirtschaftliche Aktivität; sie betrifft die Gesellschaft als Ganzes.“ Dem kann ich nur zustimmen und dies fordert einen erheblichen Umbruch in der Züchtungskultur ohne dabei vollkommen auf private Züchtung verzichten zu müssen. Ich möchte gleich vorwegschicken, dass ich dieses Papier für sehr wertvoll halte und es sehr mutig finde, dass sich jemand aus der Deckung wagt und substantielle Vorschläge macht, auch wenn ich an einigen Stellen kritische Anmerkungen machen muss.

Als Ausgangspunkt nehmen die beiden Autoren das Grundverständnis von Kulturpflanzen als Gemeingut, welches frei von Eigentumsrechten (Sortenschutz, Patente) ist und unter Umständen sogar vor einer solchen Privatisierung durch eine Open Source Lizenz rechtlich geschützt sein sollte. Da aber dann die Finanzierung der Züchtung durch Eigentumsrechte wegfällt, müssen andere Finanzierungstrategien entwickelt werden. Im Prinzip bauen die Vorschläge der Autor*innen (die gemeinsam mit Teilnehmer*innen eines Workshops erarbeitet wurden) darauf auf neue Akteure in die Finanzierung einzubeziehen (Staat, Konsument*innen, Erzeuger*innen, Lebensmittelverarbeitung) und das gesellschaftliche Bewusstsein für eine ökologische Züchtung zu erhöhen.

Neue Finanzierungsmodelle für die ökologische Züchtung

Ein Vorschlag – der nicht neu ist – ist es, die sogenannte Wertschöpfungskette (Saatgutvermarktung, Lebensmittelverarbeitung) von Lebensmitteln an den Züchtungskosten zu beteiligen. Der sogenannte Sortenentwicklungsbeitrag, den die Bingenheimer AG an Kultursaat zahlt, wird hier genannt, aber ein verbindlicheres System gefordert, das „eine kalkulierbare und angemessene Größe“ haben solle und in „Nutzungsverträgen“ mündet. Dieser Vorschlag ist noch etwas unkonkret.

Etwas spannender ist der Vorschlag eines Labels „für eigentumsfreie, ökologische Pflanzenzüchtung“. Hier zielen die Autoren vor allem auf ein „völlig neues Vermarktungspotential“ und belegen dies mit dem Beispiel der Tomate Sunviva, welche durch die Presse ging. Hier sehen die Autor*innen vor allem die kritische öffentliche Wahrnehmung der Monopolisierung des Saatgutsektors als argumentativen Hebel in der Vermarktung von Saatgut oder Lebensmitteln. Diese Wahrnehmung könne auch einen „Sog-Effekt erzeugen, nicht nur für open-source Saatgut, sondern für die ökologische Pflanzenzüchtung allgemein“. Gleichzeitig solle „das Label als markenrechtlicher Schutz für Lebensmittel aus freiem Saatgut abgesichert werden“. Die Nutzungsgebühr für dieses Label könne dann der Züchtung zugeführt werden. Die Verknüpfung ökologischer und eigentumsrechtlicher Aspekte kann man aber durchaus auch kritisch sehen. Sollte man ökologische Züchter*innen, die auf ihren Sortenschutz nicht verzichten, von einem ökologischem Züchtungslabel ausschließen? Außerdem zeigt sich auch an der Formulierung, dass auf Eigentumsrechte keineswegs verzichtet, sondern, dass diese nur verschoben werden. Statt Eigentumsrechte auf Kulturpflanzen gibt es nun Eigentumsrechte (Markenrechte) auf ein Label für Kulturpflanzen oder Lebensmittel die frei von Eigentumsrechten sind. Das entbehrt nicht einer gewissen Paradoxie. Trotzdem ist der Gedanke der Transparenz bis hin zum Züchtungsprozess sehr interessant.

Eine weitere Strategie ist die community-basierte Züchtung mit dem Ziel, regional angepasste Sorten in enger Zusammenarbeit mit lokalen Konsument*innen, Erzeuger*innen und professionellen Züchter*innen durchzuführen. Entweder sollen sich hier gärtnerische/landwirtschaftliche Betriebe zusammenschließen und einen Züchter finanzieren oder aber mehrere Solawis sollen Züchtung zusammen organisieren. Bei einem solchen Modell werden die Sorten zunächst nur Gemeinschaftsintern genutzt, wodurch aufwendige administrative Schritte der Sortenzulassung entfallen würden. Bei diesem Modell fehlt mir leider ein ernstzunehmender Finanzierungsvorschlag. Wie sollen kleine Gärtnereien oder Solawis, die eh schon unter teilweise knallharten Bedingungen wirtschaften, professionelle Züchter finanzieren oder nebenbei professionelle Züchtung machen? Sicher ist denkbar, dass so der ein oder andere „Kulturpflanzen-Schatz“ entdeckt wird, aber eine professionelle Züchtung muss darüber hinausgehen. Eine Anregung kann vielleicht die Seed to Kitchen Initiative von Julie Dawson sein. Im Prinzip kann man diese Idee ja auch über kleine Betriebe oder Solawis mit ihrem Kundenkreis hinausdenken und eine breitere Öffentlichkeit an der Züchtung beteiligen, wie das Projekt Vereinte Gärten oder zumindest an der Erhaltungszüchtung, wie z.B. bei den Erhalterringen beim VEN, vor allem um das öffentliche Bewusstsein für die ökologische Züchtung und Kulturpflanzenvielfalt zu stärken.

Ein weiteres Modell ist „Züchtung als Dienstleistung“. Grundlage hierbei ist, dass „die Züchtung einer Sorte teilweise oder vollständig durch externe Auftraggeber*innen finanziert und nach deren Vorstellungen ausgerichtet ist“. Als Beispiel werden der Lebensmitteleinzelhandel genannt, der Sorten für regionale Produkte sucht, oder aber öffentliche Institutionen (Wasserwerke), die durch die Förderung ökologischer Sorten den Grundwasserzustand verbessern wollen. Die Züchter*innen setzen dann mehr oder weniger die Ziele der Auftraggeber um. Allerdings wird auch von einer gemeinsamen Erarbeitung der Zuchtziele gesprochen. Dieses Modell ähnelt etwas der Idee, die Wertschöpfungskette einzubeziehen, aber möchte anscheinend auch Akteure integrieren, die nicht direkt Teil der Wertschöpfungskette aber trotzdem durch die Landwirtschaft betroffen sind.

Ein weiteres Modell ist eine „Finanzierungsagentur“. Diese solle einerseits den Aufwand der Mittelakquise und der Projektabwicklung für Züchter*innen reduzieren. Eine solche Agentur mit spezieller Expertise in der Mittelakquise und Buchhaltung könne effizienter arbeiten und auch kleinere Projekte zusammenfassen und so Mittel akquirieren, die erst größeren Projekten zugänglich sind. Die Finanzierung müsste über einen festen Anteil der Fördersumme festgelegt werden. Ein weiteres Argument ist die Unabhängigkeit von bestimmten Züchtergruppen. Im Falle von Kultursaat ist die Finanzierung ja ganz klar an anthroposophische Wertvorstellungen geknüpft, die nicht jeder vertreten muss, der sich für ökologische Prinzipien einsetzen möchte. Allerdings wäre für mich hier die grundlegende ökologische Wertorientierung schon eine Grundvoraussetzung für eine Finanzierungsagentur. Außerdem müsste eine solche „Agentur“ bei der Projektplanung auch in irgendeiner Form auf fachliche Expertise in der ökologischen Züchtung zurückgreifen. Der Gedanke, Finanzierungsmechanismen zu ermöglichen, die vielfältigeren Weltanschauungen gegenüber offen sind, halte ich für sehr wichtig, aber das sollte nicht in einer reinen „Dienstleistungs-Beliebigkeit“ ganz ohne Wertorientierung und züchterische Expertise enden.

Die Herausforderung ist groß…

Es ist auf jeden Fall lohnenswert diese verschiedenen Optionen weiter auszuarbeiten und vielleicht auch einfach mal zu testen. Allerdings sehe ich schon gewisse Widersprüche in dem Aufbau von Kulturpflanzenvielfalt, die frei von Eigentumsrechten sein soll, während dann die Eigentumsrechte z.B. auf Markenrechte „verschoben“ werden. Wenn man privatwirtschaftliche Züchtung weiterhin haben möchte, kommt man um die eine oder andere Form der Eigentumsrechte nicht herum oder man muss konsequent den Weg des Gemeingutes gehen schließt dann aber private Züchter*innen aus. Eigentumsrechte per se sind nicht schlecht.  Sie dürfen nur nicht zur Monopolisierung genutzt werden.

Eine Herausforderung ist es sicherlich, Finanzierungsmodelle zu finden, die

  • ein erhebliches Finanzvolumen haben, um die Schlagkraft der ökologischen Züchtung zu erhöhen
  • zu keiner zu starken wirtschaftlichen oder weltanschaulichen Dominanz führen und offen sind für verschiedene methodische und weltanschauliche Herangehensweisen
  • aber dennoch ökologisch gesehen wertorientiert sind.
  • Als weiterer Punkt käme für mich noch hinzu, dass Züchtung und Züchtungsforschung wertorientierte (normative) Tätigkeiten sind und als solche reflektiert werden sollten auch im Rahmen ihrer Finanzierung. Technische Imperative wie „wir müssen alle uns zur Verfügung stehende Technologien einsetzen, um den Klimawandel zu begegnen“ sollten wir vermeiden.

Das wird sicher nicht so einfach werden, aber der erste Schritt ist schon getan.