Neulich in einem Leipziger Baumarkt: eine Zwergtomate der Sorte „Balkontomate F1“. Gut zu erkennen ist der zwergenhafte Wuchs sowie die typischen gekräuselten Blätter.


Im letzten Herbst, als ich darüber nachgedacht habe, was ich gerne nächstes Jahr zusammen mit den Gärtnern aus unserem Gemeinschaftsgarten Querbeet kultivieren möchte, bin ich über die Zwerg-Tomaten gestolpert. Diese haben mich sofort fasziniert. Tomaten wachsen normalerweise unbegrenzt oder werden zumindest sehr groß und erfordern eine Stütze sowie das „Ausgeizen“ der Seitentriebe, um ihr wildes Wachstum im Garten zu kontrollieren. Tomaten sind also schon etwas aufwendiger zu kultivieren und müssen gewissermaßen gebändigt (eben kultiviert) werden. Wieso also nicht gleich eine Sorte züchten, die schon durch ihre genetische Ausstattung gebändigt ist? Die Zwerg-Tomaten-Sorten stellen die züchterisch-genetische Antwort auf diese Frage dar. Zwerg-Tomaten sind klein und platzsparend, müssen nicht ausgegeizt und angebunden werden. Zwerg-Tomaten sind sozusagen die Chihuahuas unter den Tomaten.

Craig LeHoullier, ein Tomaten-Experte aus North Carolina, berichtet in einem Interview, dass schon in den 1860ern die erste Zwerg-Tomatensorte von Frankreich in die USA gebracht wurde. Sie hatte den Namen „Chateau de Laye“. Auch in einem Saatgutkatalog von 1915 tauchte schon eine Zwergtomate mit dem Namen „New Big Dwarf“ auf. Allerdings gab es keine besondere Vielfalt an verschiedenen Zwergsorten, was Fruchtfarbe, Fruchtform und Größe anging. Deshalb hat Craig zusammen mit der australischen Züchterin Patrina Nuske Small das sogenannte Dwarf Tomato Project ins Leben gerufen.

Aus dem Projekt ist mittlerweile eine große Zahl an Zwergtomatensorten hervorgegangen, z.B. Big Green Dwarf (Frucht ist in reifem Zustand innen grün), Banksia Queen Dwarf (gelbe Früchte) oder Chocolate Lightning (Früchte innen schokoladig dunkel und aussen grün gestreift). Diese Sorten kann man meines Wissens bisher nur über amerikanische Saatguthändler, wie z.B. Victory Seeds bestellen. Alle Sorten aus dem Projekt wurden unter eine Art Open Source Lizenz („pledge“) der amerikanischen Open Source Seed Initiative gestellt. Es wurde also auf Sortenschutz und Patente verzichtet.

Einen guten Überblick über Zwergtomaten findet man, wenn man mit dem Stichwort „dwarf“ im Tomatenatlas von Peter Schurz sucht. Aus diesem Atlas habe ich auch einige Fotos entnommen, die die verschiedenen Fruchttypen der Zwerg-Tomaten zeigen (siehe weiter unten). In dem verlinkten Youtube-Video kann man sich die Zwerge live anschauen.

Allerdings hat nicht nur Craig sich der Zwerg-Tomaten angenommen. Mittlerweile findet man die verschiedensten Varianten von Zwerg-Tomaten in vielen Supermärkten und Baumärkten. Ich habe zum Beispiel vor einigen Tagen die Sorte „Balkontomate F1“, also einen Hybriden, bei Obi erworben.

Sehr wünschenswert wäre eine Zwerg-Tomatensorte, die unter der neuen Open Source Lizenz der kürzlich in Deutschland gegründeten Open Source Seeds laufen würde. Mal schauen, vielleicht kommt da ja demnächst etwas 😉 .

Die Ursache für den zwergenhaften Wuchs mancher Tomatensorten liegt in der Mutation einiger Gene (ein interessanter Fachartikel dazu ist z.B. Marti et al. 2006). Eine Mutation in dem Gen „Self Pruning“ reduziert anscheinend die Aktivität der Stammzellen an der Spitze der Tomatenpflanze (das sogenannte apikale Meristem), so dass das Wachstum bei Zwergtomaten begrenzt wird. Eine weitere Ursache ist in einer Mutation des Gens „Dwarf“ zu finden, welches die Produktion von Pflanzenhormonen (sogenannten Brassinosteroiden) beeinflusst, die das Pflanzenwachstum kontrollieren. Von diesem Gen treten verschiedene Allele auf, die den Zwerg-Phänotyp in unterschiedlich starker Ausprägung bedingen. Die Zwergmutationen sind außerdem im Phänotyp mit einem intensiven Grün und einer Kräuselung der Tomaten-Blätter gekoppelt.

Tomaten sind ein gutes Beispiel für die Vielfalt, die die züchterische Arbeit hervorbringt. Dadurch können ganz unterschiedliche Bedürfnisse verschiedener Menschen und verschiedener (Bio-) Kultursysteme erfüllt werden.

Zum Abschluss gebe ich hier noch einen Überblick über die verschiedenen Tomatentypen nach Wuchsform:

  • unbegrenzt wachsende Tomaten (nicht determiniert): bis der Frost kommt, wächst die Tomate weiter und macht immer neu Blüten und Früchte; für eine kontinuierliche Ernte frischer Früchte, z.B. im Hausgarten.
  • begrenzt wachsende Tomaten (determiniert): hier wächst die Tomate bis zu einer bestimmten Größe und hört dann auf zu wachsen; außerdem bilden sich oft erst alle Blütenknospen und dann blühen die Blüten; für eine zeitlich konzentrierte Ernte, z.B. für industrielle Zwecke.
  • Zwerg-Tomaten: dicker zentraler und stabiler Stamm, sehr kompakter Wuchs der Gesamtpflanze; dunkelgrüne gekräuselte Blätter; sehr pflegeleicht und platzsparend.

 

Literatur

Martí, E., Gisbert, C., Bishop, G. J., Dixon, M. S., & García-Martínez, J. L. (2006). Genetic and physiological characterization of tomato cv. Micro-Tom. Journal of experimental botany, 57(9), 2037-2047.

Weitere Links

Ein Artikel über das Zwergtomatenprojekt: http://awaytogarden.com/best-tomatoes-craig-lehoulliers-heirloom-picks-plus-dwarf-tomato-project/

Ein thread zum Thema Zwerg-Tomaten in einem Forum: http://www.hausgarten.net/gartenforum/tomaten/69129-dwarf-thread-fuer-alle-liebhaber-der-zwerg-tomaten.html

Das Tomato Genetic Resource Centre: http://tgrc.ucdavis.edu

Saatgut aus dem Dwarf Projekt von Craig gibt es z.B. hier: http://www.victoryseeds.com/tomato_banksia-queen.html