Blühende Erbsen in Mischung mit blühendem Weizen, Versuchsbetrieb Neu Eichenberg, Sommer 2020.
Zur Zeit bewege ich mich physisch und gedanklich durch Kulturpflanzengemeinschaften. Physisch bin ich mit Kolleg*innen und Student*innen vom Fachgebiet Ökologischer Pflanzenschutz (Prof. Maria Finckh) in den Weizen-Erbsen-Mischkulturen im Versuchsbetrieb in Neu Eichenberg unterwegs. Dabei sind wir den Rätseln dieser Systeme mittels Messungen und Bonituren auf der Spur. Oder genießen einfach den schönen Ausblick. Mir scheint allerdings als fehle etwas, um Mischkultursysteme besser zu verstehen. Ein Konzept oder ein Werkzeug, um zu durchdringen, wie Kulturpflanzen in Mischkultursystemen aufeinander wirken. Es müsste ein mentales Werkzeug geben, das die Wechselwirkungen von Kulturpflanzen aufeinander besser verständlich macht. Ich würde es vorläufig als Kulturpflanzenökologie betiteln.
Der Begriff der Kulturpflanzenökologie scheint bisher allerdings ein ziemliches Schattendasein zu führen. Bei Wikipedia findet man nur eine kurze Erwähnung des Begriffes in einem Artikel über Martin Zoschke – einem Pflanzenbauwissenschaftler aus Gießen. Hier heißt es, er betrachte den Pflanzenbau als ökologische Disziplin und dass man diesen deshalb als „Kulturpflanzenökologie“ bezeichnen könne. Bemerkenswert finde ich hier vor allem die Veröffentlichungen zur Fruchtfolge im Pflanzenbau. Die Dissertation von Arnoldscheibe trägt den Begriff der Kulturpflanzenökologie im Titel (Scheibe, 1927). Auf präzisere schriftliche Ausführungen in deutscher Sprache zur Kulturpflanzenökologie bin ich bisher aber nicht gestoßen.
Zwar hat die Agrarwissenschaft durchaus einen großen Berg an Wissen zur Ökologie der Kulturpflanzen angehäuft. Hierbei geht es dann aber vor allem um die Einflüsse abiotischer Faktoren wie Licht, Wasser und Nährstoffe auf eine Kulturpflanzenart. Die Interaktionen zwischen Kulturpflanzen verschiedener Arten spielen im landwirtschaftlichen Lehrkanon eher eine untergeordnete Rolle (Gliessman, 2015, S. 191). Dies ist einerseits erstaunlich, da in der Ökologie natürlicher Ökosysteme die Interaktion zwischen verschiedenen Pflanzenarten an zentraler Stelle steht. Hier bewegt man sich dann auf dem Feld der Ökologie von Pflanzengemeinschaften (community ecology). Auf der anderen Seite ist dies wiederum überhaupt nicht verwunderlich, da Gemeinschaften von Kulturpflanzen in der landwirtschaftlichen Praxis allenfalls ein Nischendasein fristen.
Agrarökologie und Pflanzenbausysteme als Artengemeinschaften
Die Agrarökologie hat hier einiges mehr zu bieten. Gliessmann schreibt hierzu (Gliessmann 2015, S. 191): “a cropping system is a community formed by a complex of interacting populations of crops, weeds, microorganisms, insects, and sometimes other animals.” Für die Agrarökologie sind Kulturpflanzen ein Bestandteil von Agrarökosystemen. Die Interaktion verschiedener Arten ist ein zentraler Bestandteil der Agrarökologie. Auch die Interaktionen von Kulturpflanzen untereinander in Mischkulturen wird hier untersucht. Ausführungen dazu findet man in den Kapiteln 16 und 17 bei Gliessmann und einem weiteren Klassiker der Agrarökologie, Miguel Altieri (Altieri, 1999) und natürlich in den Aufsätzen von Maria Finckh mit einem Schwepunkt Pflanzengesundheit (Finckh et al. 2000; Finckh und Wolfe 2006; Finckh und Wolfe 2015). Außerdem gibt es eine Unmenge an Einzel-Publikationen zu Mischkulturen. Eine eigene Disziplin der Kulturpflanzenökologie – die sich auf die Interaktion von Kulturpflanzen fokussiert – hat sich bisher aber nicht entwickelt.
Kulturpflanzenökologie als Grundlage zum Verständnis und Management von Mischkultursystemen
Wollen wir aber unsere landwirtschaftlichen Systeme diversifizieren – durch ackerbauliche Mischkulturen oder Agroforstsysteme – sollten die Interaktionen zwischen verschiedenen Kulturpflanzenarten an zentraler Stelle, nicht nur der Praxis, sondern auch einer wissenschaftlichen Disziplin, stehen. Hierdurch würde es möglich die Leistung von Mischkultursystemen besser zu verstehen und zu managen. Während es Kulturpflanzenökologie zwar nicht als Lehrfach oder wissenschaftliche Disziplin im Sinne der Agrarökologie gibt, gibt es durchaus eine Menge an empirischer Forschung und auch wissenschaftlichen Synthesen, die die Grundlage für ein solches Fach sein könnten. Insbesondere die Interaktionen von Leguminosen und Getreiden und deren Einfluss auf die Leistung von Mischkultursystemen ist schon gut untersucht. Im nächsten Schritt möchte ich beispielhaft einige Aspekte der ökologischen Interaktionen von Getreiden und kultivierten Leguminosen darlegen sowie deren Relevanz für die landwirtschaftliche Praxis.
Kulturpflanzenökologie von Leguminosen und Getreiden und ihre Praxisrelevanz
Das Besondere an der ökologischen Beziehung vieler Leguminosen (Linse, Erbse, Ackerbohne) und Getreiden (Weizen, Hafer, Gerste) sind ihrer verschiedenen Aneignungsstrategien von Stickstoff. Dies ist wohlbekannt, allerdings oft nur oberflächlich. Getreide sind hocheffizient bei der Aufnahme von Stickstoff aus dem Boden. Dies wird ermöglicht durch das sehr fein verästelte und mit sehr vielen Wurzelhaaren ausgestatten Wurzelsystem. Diese intensive Interaktion mit dem Boden zeigt sich an den sogenannten Wurzelhosen, eine Erdschicht, die mit den Wurzeln fest verbunden ist (Foto unten). Wurzelhosen sind bei Leguminosen viel schwächer ausgebildet. Vielmehr bilden sie Organe die die Wurzeloberfläche zu reduzieren (die wohlbekannten Wurzelknöllchen), um die sauerstoffsensitive Fixierung von Stickstoff gegen die Umwelt abzuschirmen. Leguminosen sind dadurch weniger effizient bei der Aufnahme von Bodenstickstoff als Getreide. Andererseits aber sind beide Pflanzengruppen an offene Habitate – Grassländer bzw. Steppen und Buschland – angepasst. Sie sind damit Teil einer Pflanzengemeinschaft und sind gut in der Lage miteinander zu koexistieren und vor allem zusammen auch hochproduktiv zu sein. Für diese Tatsache gibt es eine ziemlich gute evolutions-ökologische Erklärung, die ich an anderer Stelle weiter ausführe. Aufgrund der verschiedenen Stickstoffaneignungsstrategien ergeben sich spezifische Interaktionen zwischen Leguminosen und Getreiden jeweils innerhalb monokultureller und gemischter Bestände. Ersetzt man z.B. einen Teil einer Weizenpopulation durch Erbsen, dann wird sich die Konkurrenz für die Weizenpflanzen um Stickstoff verringern, da Erbsen weniger effizient bei der Aufnahme von Bodenstickstoff sind. Dies hat zur Folge, dass in der Mischkultur pro Weizenpflanze mehr Stickstoff verfügbar ist als in der Weizenmonokultur und dies erhöht die Proteinmenge im Getreide. Erkennbar ist dies an der dunkleren Grünfärbung der Blätter des Weizens im Gemenge (Fotos unten). Der Proteingehalt der Körner ist für die Backqualität und damit für die landwirtschaftliche und lebensmittelverarbeitende Praxis von erheblicher Relevanz. Ersetzt man dagegen einen Teil einer Erbsenpopulation durch Getreide, vergrößert sich für die Erbsen die Konkurrenz um Bodenstickstoff, was diese zwingt einen größeren Anteil ihres Stickstoffs durch Fixierung atmosphärischen Stickstoffes zu gewinnen. Aus Sicht der Praxis bedeutet dies eine effizientere Nutzung von Bodenstickstoff. Außerdem vergrößert das Getreide auch für Unkräuter die Konkurrenz um Bodenstickstoff und dies führt zu einer effektiven Unkrautunterdrückung in Erbsen-Getreide-Mischungen im Verhältnis zur Erbsenreinsaat. Ein weiterer interessanter Aspekt der Kulturpflanzenökologie von Getreiden und einigen Leguminosen betrifft ihre mechanische Architektur und verschiedene Strategien an die essentielle Ressource Licht zu gelangen. Getreide bilden mechanisch sehr stabile Halme, die die Blätter über den Boden und potentielle Konkurrenten erheben. Viele Leguminosen, wie Erbsen, Linsen und Wicken dagegen besitzen keine sehr stabilen Halme sondern Ranken, mit denen sie an anderen Arten emporklettern. Damit sind diese Leguminosen präadaptiert an das gemeinsame Vorkommen mit anderen Pflanzenarten. Durch Mischkulturen lässt sich das in Reinkulturen oft auftretende Lager kletternder Leguminosen stark reduzieren. Zwar wurde die Erbse züchterisch auf größere Standfestigkeit hin optimiert. Die Pflanzenlänge wurde reduziert und ein Großteil der Fiederblätter in Ranken umgewandelt (dadurch können sich die Erbsen ineinander verheddern und werden als Bestand standfester). Dies allerdings führt zu einer geringeren Konkurrenzfähigkeit der Erbsen gegen Unkraut. Durch die Kombination komplementärer Kulturpflanzenarten in Mischkulturen lässt sich dieses Dilemma (in der Ökologie wird hier oft der Begriff trade-off verwendet) zwischen Standfestigkeit und Konkurrenzfähigkeit umgehen. Alle diese kulturpflanzenökologischen Interaktionen sowie das Aushebeln von trade-offs innerhalb der Architektur einer Kulturpflanzenart, lassen sich nutzen, um effiziente Mischkultursysteme zu gestalten. Die hier genannten fachlichen Grundlagen findet man unter anderem bei Bedoussac et al. (2015).
Ausblick für eine zukünftige Kulturpflanzenökologie
Unter dem Banner einer Kulturpflanzenökologie könnte es prinzipiell zwei Arbeits-Stränge geben. Einerseits die systematische Synthese des bisher publizierten Wissens. Andererseits experimentelle Untersuchungen zur weiteren Aufklärung kulturpflanzenökologischer Mechanismen. Aber auch vergleichende Untersuchungen an wilden Verwandten unserer Kulturpflanzen und ihren Interaktionen in Pflanzengemeinschaften und natürlichen Habitaten könnten aufschlussreich sein. Die primären Anwendungsfelder der Kulturpflanzenökologie wären dann die Gestaltung von Mischkultursystemen und das Management der Interaktion von Kulturpflanzengemeinschaften in landwirtschaftlichen Systemen. Beispielhaft genannt seien hier die Wahl der Artenkombinationen, die Sortenwahl, Aussaatstärke, räumliche Anordnung, Düngung sowie mechanische Eingriffe wie Schneiden und Walzen.
Mögliche Fragen, die man im Rahmen der Kulturpflanzenökologie beantworten könnte wären folgende:
- Wie beeinflussen die verschiedenen ökologischen Strategien zur Ressourcenaneignung und die entsprechenden morphologischen/physiologischen Eigenschaften der verschiedenen Kulturpflanzenarten ihre Interaktion?
- Wie bedingen die Interaktionen von Kulturpflanzen die Leistung einer Kulturpflanzengemeinschaft?
- Wie stark ist die Komplementarität der Nischen von verschiedener Kulturpflanzenarten?
- Wie beeinflussen Interaktionen von Kulturpflanzenarten Pathogene und Herbivoren?
- Wie lassen sich Kulturpflanzen (Gruppen) aufgrund ihrer spezifischen Interaktionen systematisieren: verschiedene Lichtstrategietypen (schattentolerant versus schattenvermeidend), Stickstoffaneignungs-Typen, komplementäre Strategien der Wasseraufnahme / des Wasserhaushaltes und Anpassungen an Trockenstress, Wuchstypen (kletternde Kulturpflanzen versus aufrecht wachsende Kulturpflanzen).
- Was unterscheidet die Interaktion von Kulturpflanzen innerhalb eines Sukzessionsstadiums von Interaktionen von Kulturpflanzen verschiedener Sukzessionsstadien (z.B. die Interaktion verschiedener Kulturgehölze untereinander oder aber von Ackerbaukulturen und Kulturgehölzen)?
- Wie ist die zeitliche Dynamik der Interaktionen von Kulturpflanzen (im Laufe einer Saison oder über mehrere Jahre)?
- Ein weiteres spannendes Feld ist die Interaktion verschiedener Photosynthesetypen also sogenannter C3 und C4 Pflanzen (Li et al., 2020; Yu et al., 2015).
Literatur
Altieri, M.A., 1999. The ecological role of biodiversity in agroecosystems, in: Invertebrate Biodiversity as Bioindicators of Sustainable Landscapes. Elsevier, pp. 19–31.
Bedoussac, L., Journet, E.-P., Hauggaard-Nielsen, H., Naudin, C., Corre-Hellou, G., Jensen, E.S., Prieur, L., Justes, E., 2015. Ecological principles underlying the increase of productivity achieved by cereal-grain legume intercrops in organic farming. A review. Agron. Sustain. Dev. 35, 911–935.
Finckh, M., Gacek, E., Goyeau, H., Lannou, C., Merz, U., Mundt, C., Munk, L., Nadziak, J., Newton, A., De Vallavieille-Pope, C., Wolfe, M., 2000. Cereal variety and species mixtures in practice, with emphasis on disease resistance. Agronomie 20, 813–837. https://doi.org/10.1051/agro:2000177
Finckh, M.R., Wolfe, M.S., 2015. Biodiversity Enhancement, in: Plant Diseases and Their Management in Organic Agriculture.
Finckh, M.R., Wolfe, M.S., 2006. Diversification strategies, in: The Epidemiology of Plant Diseases. Springer, pp. 269–307.
Gliessman, S.R., 2015. Agroecology: the ecology of sustainable food systems. CRC press.
Li, C., Hoffland, E., Kuyper, T.W., Yu, Y., Zhang, C., Li, H., Zhang, F., van der Werf, W., 2020. Syndromes of production in intercropping impact yield gains. Nat. Plants 1–8. https://doi.org/10.1038/s41477-020-0680-9
Scheibe, A., 1927. Morphologisch-physiologische Untersuchungen über die Transpirationsverhältnisse bei der Gattung Triticum und deren Auswertung für Pflanzenzüchtung und Kulturpflanzenökologie (PhD Thesis). Verlag von Gebrüder Borntraeger.
Yu, Y., Stomph, T.-J., Makowski, D., van der Werf, W., 2015. Temporal niche differentiation increases the land equivalent ratio of annual intercrops: A meta-analysis. Field Crops Res. 184, 133–144. https://doi.org/10.1016/j.fcr.2015.09.010
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