Gräser mit lichtbrechenden Wassertropfen, die durch Kondensation von Luftfeuchtigkeit entstanden sind. Fotografiert mit einer Canon R6 mit 24-105 mm Objektiv.


Eine nasse Wiese im winterlichen Morgengrauen. Kein besonders gemütlicher oder besonders schöner Ort. Insekten, Blüten und bunte Farbtöne? Fehlanzeige! Und nasse Füße bekommt man auch. Und dennoch, wenn man sich auf die kleinen Details einlässt, findet sich eine unglaubliche Schönheit und die Faszination, die Lebewesen ausstrahlen, die in ihre Lebenswelt eingebettet sind. In diesem Fall Gräser auf denen der über Nacht gefrorene Tau im Sonnenlicht wieder schmilzt. Dabei entstehen funkelnde Lichtspiele durch Wassertropfen, die in vielfältiger Weise das Licht reflektieren, brechen und bündeln. Schaut man sich die einzelnen Tropfen an, erkennt man wie sich die Umwelt (andere Pflanzen) in diesen spiegelt. Perlengleich reihen sich die Tropfen an den Blatträndern auf. Biologie und Ökologie aber kennen keine Ästhetik. Pflanzen sind erdgeschichtlich evolviert und ihre Gestalt ist geprägt von Funktionalität und Anpassungen an ihre Umwelt. Schönheit ist hier kein Kriterium.

Einige Pflanzen haben Strukturen entwickelt, um gezielt Tauwasser zu nutzen und zu ihren Wurzeln zu leiten. Dazu gehört die Fähigkeit Wassertropfen durch Hährchen (auf den Fotos sichtbar) an ihre Oberfläche zu binden. Wenn die Tropfen eine kritische Größe überschreiten, gleiten sie zu den Wurzeln und versorgen die Pflanzen mit dem überlebenswichtigen Wasser. Dies wird mittels paralleler Furchen auf den Blättern ermöglicht und verhindert ein Abtropfen der Tröpfchen von den Blättern außerhalb der Reichweite der Pflanzenwurzeln.  Parallel gefurchte Blätter sind ein Charakteristikum der Süßgräser (Poacea), zu denen übrigens auch unsere diversen Getreidearten (Weizen, Roggen, Hafer und Gerste) zählen. Das funkelnde Lichtspiel auf den geschwungen Blättern ist also ein hochfunktionales Wassersammelsystem.


Für weitere Informationen gibt es eine Studie zur Untersuchung des Wassersammelsystems bei einem afrikanischen Süßgras (Roth-Nebelsick et al., 2012) und einen Übersichtsartikel zu biomimetischen (lebende Organismen nachahmenden) Materialien (Zhu et al., 2016).

Literatur

Roth-Nebelsick, A., Ebner, M., Miranda, T., Gottschalk, V., Voigt, D., Gorb, S., et al. (2012). Leaf surface structures enable the endemic Namib desert grass Stipagrostis sabulicola to irrigate itself with fog water. J. R. Soc. Interface 9, 1965–1974.

Zhu, H., Guo, Z., and Liu, W. (2016). Biomimetic water-collecting materials inspired by nature. Chem. Commun. 52, 3863–3879.