Ästhetisch in der unmittelbaren Anschauung aber auch Spiegel gesellschaftlicher Werte und Konflikte: Kulturpflanzen (hier Erbse und Weizen in Mischkultur bei Witzenhausen).


Die Debatte um die neuen Genome Editing Technologien zeigt, das in der Züchtung erhebliche Veränderungen notwendig sind, die über technisch-methodische Entwicklungen hinausgehen. In der Züchtungsforschung und Züchtungswirtschaft haben sich hochproblematische Strukturen etabliert, wie sich anhand dieser Debatte zeigt. Es geht vor allem um mangelnde Transparenz über die Erzeugung von Kulturpflanzen und das Verbergen von Interessen und Wertvorstellungen hinter wissenschaftlicher Argumentation. Um dies zu ändern, brauchen wir ein neues und breiteres Verständnis von Kulturpflanzen.

Starten möchte ich mit der exzellenten Analyse der aktuellen Genome Editing Debatte von Jennifer Kuzma. Sie nimmt in ihrem Artikel (Kuzma 2018) die Debatte treffend auseinander und deckt problematische Strategien der Genome Editing Vertreter auf. Wie aus dem Artikel klar hervorgeht, ist sie keine pauschaler Gentechnik-Gegnerin sondern weist vielmehr auf die vielen Eigentore der Genome Editing Vertreterinnen hin. Dazu gehören die sogenannten Namensspiele („playing the name game“). Statt die Genome Editing Technologien als Gentechnik zu bezeichnen werden sie als „Neue Züchtungsmethoden“ oder „Präzisionszüchtung“ bezeichnet. Dadurch wird aber der eigentliche Prozess hinter der Züchtungsmethode – also der technische Eingriff auf molekulargenetischer Ebene – verschleiert. Dieses Umlabeling macht die Leute misstrauisch und wird wohl kaum zu einer größeren Akzeptanz dieser Technologie führen.

Ein weiterer problematischer Punkt ist die oft pauschale Ablehnung einer gesetzlichen Regulierung von Genome Editing („dodging regulation“). In den USA hat die USDA (U.S. Department of Agriculture) Genome Editing Kulturpflanzen ohne dedizierte Risikountersuchungen für die Marktzulassung durchgewunken. In Europa formiert sich auch eine Gruppe aus Forschungsinstituten und Interessensvertretern, um die Europäische Gesetzgebung dahingehend anzupassen, dass Genome Editing nicht unter die Europäische Gentechnik-Regulierung fällt. Allerdings fordert z.B. die Max Planck Gesellschaft keinesfalls eine totale Ausnahme genomeditierter Pflanzen von der Regulierung. Vielmehr sollen lediglich die Pflanzen nicht reguliert werden, bei denen nur kleine Punktmutationen vorgenommen wurden. Kuzma kritisiert außerdem die fehlende Kennzeichnungspflicht in den USA („keeping secrets“), die in der EU allerdings Pflicht ist.

Ein weiterer Hauptkritikpunkt ist, dass sich die Vertreter von Genome Editing hinter scheinbar rein wissenschaftlichen Argumenten verstecken („hiding behind science“). Sie argumentieren scheinbar rein sachlich. Ein gutes Beispiel ist der Blog progressive Agrarwende. Hier wird in einem Artikel argumentiert, dass Genome Editing nichts Anderes ist als Mutation und Mutationen ja auch in der Natur auftreten und dies demzufolge unproblematisch sei. Ein weiterer Artikel dreht sich um die Domestikation der Kulturpflanzen. Diesem Artikel nach sind Kulturpflanzen im Laufe ihrer Domestikation allesamt genetisch verändert worden (was trivial ist) und darum seien genetische Änderung durch Gentechnik ebenfalls unproblematisch. Vollkommen ausgeblendet wird hier jedoch, dass jede Entscheidung für oder gegen eine Technologie niemals rein wissenschaftlich begründet werden kann sondern immer auch auf Wertentscheidungen beruht und damit ein politischer Prozess ist. Dies wird von Genome Editing Vertreterinnen allerdings verschleiert. Hinzukommt, dass Genome Editing Vertreterinnen meist ausschließlich mit der Risikobewertung argumentieren, die ja bei den auf Cis-Genetik beschränkten nGVO (Pirscher et al. 2018) in der Tat identisch zu den Ergebnissen konventioneller Züchtung ist. Es müssten aber natürlich noch ganz andere Bewertungsmaßstäbe in eine umfassende Technologiebewertung einfließen, wie die Folgen für unser gesamtes Agrarsystem: Was für Konsequenzen wird dies auf die Marktentwicklung, Patentierung und auch Ökologisierung der Züchtung haben?

Problematisch ist bei diesen Strategien, dass diese eine ganze Profession – die Pflanzenzüchtung – in Verruf bringen. Vertrauen wird verspielt und Skepsis gefördert. Dies führt dann wiederum zu absurden Vorstellungen, wir bräuchten keine professionelle Pflanzenzüchtung und jede Gärtnerin und jeder Landwirt könne die teilweise sehr aufwendigen Kulturtechniken der Züchtung in ihrem eigenen Betrieb oder Hausgarten umsetzen. Eine andere problematische Gegenposition ist die pauschale Ablehnung ganzer Disziplinen wie der Genetik im Allgemeinen oder der Molekulargenetik im Besonderen. Dies führt zu einer voraufklärerischen Mystifizierung unserer Kulturpflanzen und verhindert eine ökologisch orientierte aber auch auf effizienten Methoden aufbauende Züchtung.

Aus diesen Gründen braucht es ein Verständnis von Kulturpflanzen, das über technische und naturwissenschaftliche Aspekte hinausgeht. Das wird immer deutlicher. Warum? Weil es sich zeigt das die Kulturpflanzen Gegenstand gesellschaftlicher Konflikte sind und es sehr verschiedene Vorstellungen davon gibt, wie wir mit den Kulturpflanzen umgehen sollten. Im Folgenden möchte ich deshalb kurz einige zentrale Aspekte von Kulturpflanzen vorstellen, um das Verständnis des Phänomens Kulturpflanze zu erweitern. Hierbei möchte ich vor allem auf den konstitutiven Prozess der Entstehung von Kulturpflanzen eingehen, der das Phänomen Kulturpflanze erzeugt.

Die Entstehung der Kulturpflanzen in einer genetisch-kulturellen Evolution

Zu den Kulturpflanzen gehört immer der Entstehungsprozess und ihre Geschichte. Das steckt in dem Begriff der Kultur-Pflanze. Kultur ist ein historischer und generationenübergreifender Prozess und eben in einem generationenübergreifenden Prozess entstehen unserer Kulturpflanzen. Kulturpflanzen sind nicht einfach nur fertige Produkte für den Konsum. Der historische Entwicklungsprozess der Kulturpflanzen besteht aus einer genetisch-biologische Evolution, die eng mit der menschlichen Kultur- und Technologie-Entwicklung verwoben ist (Timaeus 2017). Die natürliche Evolution von Organismen verschränkt sich mit kulturell-technischen Entwicklungen zu einer genetisch-kulturellen Evolution. Im Gegensatz zu den wilden Pflanzen ist die Interaktion aus Kultur und Biologie konstitutiv für das Phänomen Kulturpflanze.

Die genetisch-biologischen Prozesse und Systeme der Kulturpflanzen sind aus der Natur hervorgegangen und folgen immer noch auch den Prinzipien natürlicher biologischer Systeme (die Funktionsweise von Zellen, genetischer Systeme etc.). Andererseits greift der Mensch massiv in diese biologischen Systeme ein durch Selektion, Kreuzung, Bestrahlung, alter Gentechnik und Genome Editing. Trotz dieser Eingriffe zeigt Leben immer das Phänomen der Selbstorganisation (Penzlin 2014). Daraus lassen sich drei zentrale Aspekte schlussfolgern.

  1. Kulturpflanzen entziehen sich aufgrund ihrer biologischen Selbstorganisation einer totalen menschlichen Kontrolle.
  2. Vorstellungen einer rein natürlichen Züchtung sind unhaltbar.
  3. Kulturpflanzen spiegeln aktuelle und historische Wertvorstellungen

Kulturpflanzen als Natur-Kultur-Hybride: Spiegel aktueller und historischer Werte und Konflikte

Kulturpflanzen verkörpern dadurch, dass sie zumindest teilweise intendiert gezüchtet werden immer auch gesellschaftliche Werte. Dazu gehört einerseits die Vorstellung davon, wie wir mit Leben umgehen. Wie stark wollen wir in den Evolutionsprozess der Pflanzen eingreifen und wie viel Spielraum lassen wir den natürlichen Prozessen? Welche Methoden wollen wir einsetzen? Ausschließlich Selektion (wie dies einige Biodynamiker machen)? Kreuzung? Embryokultur? CRISPR/Cas9? Bestrahlung? Andererseits fließen auch Vorstellungen über die Eigentumsverhältnisse (Hybridzüchtung, Sortenschutz und Patente) in die Kulturpflanzen ein. Dies impliziert auch, dass Kulturpflanzen gesellschaftliche Konflikte spiegeln. Einerseits betrifft dies aktuelle Auseinandersetzungen wie die Debatte um Genome Editing. Andererseits sind in den heutigen Kulturpflanzen auch vergangene Wertvorstellungen gewissermaßen „geronnen“. In der Vergangenheit sind Züchtungstechniken eingesetzt worden, die ihre Spuren in den Kulturpflanzen hinterlassen haben und von einigen Gruppen heute skeptisch betrachtet werden. Ein gutes Beispiel ist die sogenannte Embryokultur, durch die z.B. die blauen Anthocyan-Tomaten entstanden sind und von einigen Vertretern der ökologischen Saatgut-Szene abgelehnt werden. Die nachkommenden menschlichen Generationen müssen bis zu einem gewissen Grad mit den Entscheidungen ihrer Vorfahren leben, wenn kein alternatives Zuchtmaterial zur Verfügung steht.

Der Einsatz von und die Entscheidung über Züchtungstechnologien findet heutzutage aber oft im Verborgenen statt, da sie zentraler Bestandteil großer privater Konzerne sind, für die Transparenz in der Züchtung nicht das oberste Gebot ist. Ein Großteil der Gesellschaft wird damit von der Entwicklung der Kulturpflanzen ausgeschlossen.

Ein Konzept von Kulturpflanzen, das diese explizit als ein Produkt eines genetisch-kulturellen Prozesses versteht – in dem sich die natürliche Selbstorganisation biologischer Systeme mit technisch-kulturellen Prozessen veschränken – könnte die aktuelle Debatte vielleicht bereichern.

Nachtrag vom 16.6.2019: Sind alle unsere Kulturpflanzen GVOs?

Ein aktueller Spiegelbeitrag greift einen rechtswissenschaftlichen Fachbeitrag auf, der in Frage stellt, dass das „ohne Gentechnik“ Label bei den meisten so gekennzeichneten Lebensmitteln zulässig ist. Grund hierfür ist, dass nach der Auslegung europäischer Gestzgebung durch den Europäischen Gerichtshof sämtliche durch Mutagenese erzeugte Organismen als GVO zu gelten haben. Dies schließt Kulturpflanzen ein, die durch chemische Mutagenese, Bestrahlung und Genome Editing erzeugt wurden. Strahlungsmutanten sind weit verbreitet wie in dem Fachartikel dargestellt wird. Als Beispiel wird die Gerstensorte Diamant genannt, die durch röntgenbasierte Mutagenese erzeugt wurde und mittlerweile in die meisten Gerstensorten eingekreuzt sei. Folglich dürfte kein Gerstenprodukt mehr das ohne Gentechnik Label tragen.

Entscheidend ist aber das es sich bei diesen Methoden um fundamental verschiedene Techniken handelt. Genome Editing ist ungleich mächtiger als chemische und strahlungsbasierte Mutagenese und erfordert deshalb eine auf diese Technik angepasste Bewertung. Eine differenzierte Bewertung wie Genome Editing eingesetzt wird ist ebenfalls wichtig (Transgenese oder Cisgenese). Das Beispiel mit der Gerstensorte Diamant zeigt auch die Bedeutung der historischen Dimension von Kulturpflanzen. Wenn wir einmal eine Züchtungstechnik auf breiter ebene Eingeführt haben, bleibt den nachfolgenden Generationen nichts als mit dieser Entscheidung zu leben. Bevor neue Techniken also auf breiter Ebene eingeführt werden, sollten Vor- und Nachteile verschiedener Varianten von Genome Editing ausführlich erörtert werden. Und dies muss über eine rein technische Risiko-Bewertung hinausgehen.

Nachtrag vom 23.8.2019

Einen Überblick über die mit Genome Editing Techniken veränderten Pflanzen und Eigenschaften findet man hier.

Literatur

Gepts, P. (2004). Crop domestication as a long-term selection experiment. Plant breeding reviews, 24(Part 2), 1-44.

Kuzma, J. (2018) Regulating gene edited crops. Issues in Science and Technology 35, 1 80-85.

Penzlin, Heinz. Das Phänomen Leben. Springer, 2014.

Timaeus, Johannes. „Biokultursysteme und ihre Evolution“. In 14. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau. Campus Weihenstephan: Verlag Dr. Köster, Berlin, 2017.