Die Evolution, Vielfalt und Kultur von Chilis

Die Blüte einer Chilipflanze der Art Capsicum baccatum, die wir dieses Jahr in unserem Stadtgarten Querbeet in Leipzig kultivieren. Aufgenommen mit dem Makroequipment von Marius Brauer. Die gelben Muster auf der Blüte werden durch das Ys-Gen erzeugt (Wang und Bosland 2006).


Chilis gehören mit Sicherheit zu den spannendsten Kulturpflanzen überhaupt auch wenn sie für die Ernährung nicht so zentral zu sein scheinen, wie Reis, Mais, Getreide oder Gemüse. Trotzdem faszinieren Chilis die Menschen schon seit tausenden von Jahren. Diesen Kulturpflanzen bin ich auch verfallen und deshalb werden wir in diesem Sommer wieder viele verschiedene Chilisorten in unserem Stadtgarten Querbeet in Leipzig anbauen. Momentan gedeihen bei uns z.B. die Sorten Scotch Bonnet, Jamy, Katharina (benannt nach einer Bekannten von der wir die Samen haben), Bhut Jolokia (Geisterchili), eine F2 Hybride aus einem Supermarkt, einige garteneigene Kreuzungen und eine wilde Chili (Capsicum rhomboideum), um nur einige zu nennen. Die Ernte wird dann u.a. in einer fermentierten Chilisauce, die ich „Hammerscharf“ nenne (hier das Rezept), verarbeitet.

In dieser Saison möchte ich viel Praktisches über die Kultivierung von Chilis lernen aber auch kulturelle und wissenschaftliche Hintergründe. Als ein Zwischenschritt setze ich dafür diesen Artikel in die Welt, in dem ich eine Reihe von spannenden Erkenntnissen teilen möchte, die ich aus der Literatur, eigenen konzeptionellen Überlegungen und der gärtnerischen/kulinarischen Praxis gewonnen habe. Dieses Wissen ist natürlich unvollständig aber wie ich denke doch spannend und reichhaltig genug, um es zu teilen und vielleicht auch den Einen oder die Andere mit meinem Chili-Enthusiasmus anzustecken.

Super-Chilis und moderne Chili-Kultur: Die Faszination der Superhots

Starten möchte ich mit einem kurzen Ausflug in die Welt der modernen Super-Chilis oder wie es im Englischen so schön heißt der „superhots“ (siehe auch Bosland et al. 2015). Über die letzten Jahre gab es eine Art Wettrennen um die schärfste Chili der Welt. Galten früher klassische Habaneros als die ultimativ-scharfen Chilis (mit bis zu 500 000 Scoville) wurden diese in den letzten Jahren von „7 Pot Brain Strain“ (bis 1,35 Mio. Sco.) und „Trinidad Scorpion Butch T“ (bis 1,46 Mio. Sco.) übertroffen. 2013 setzte dann die Carolina Reaper mit bis zu 2,2 Mio Sco. und einem Guinness-Buch-Eintrag für die maximale gemittelte Schärfe (gemittelt über viele Früchte) von 1,57 Mio Scoville dem Ganzen die Krone auf. Eine Liste von superhots findet man hier.

Auch dieses Jahr gibt es wieder einige (vermeintliche) Rekordmeldungen in Sachen schärfste Chili der Welt. Die „Dragon’s Breath“ aus Wales soll mit maximal 2,48 Millionen Scoville den bisherigen offiziellen Rekordhalter Carolina Reaper übertreffen (Allerdings wurde von Seiten der Pepperworld erhebliche Zweifel an den Messergebnissen geäußert). Damit setzt sich ein Trend zur Züchtung immer extremerer Chilisorten fort, die auch mich durchaus faszinieren. Rekorde lassen sich in sozialen Netzwerken und digitalen Medien gut kommunizieren und Saatguthändler können ihre Rekord-Chilisorten wunderbar vermarkten.

In anderer Hinsicht kann der Sinn solcher Super-Chili aber durchaus hinterfragt werden. Als alltagstaugliches Gewürz, welches leckeren Gerichten eine angenehme Schärfe und Würze verleiht, taugen diese Super-Chilis weniger. Sie machen eine sanfte Dosierung der Schärfe sehr schwer und erfordern außerdem eine extreme Vorsicht bei der Verarbeitung, wenn man sich nicht schmerzhaft verbrennen möchte. Plastikhandschuhe sind bei der Verarbeitung der Superchilis absolute Pflicht und Kinder sollte man von diesen Früchten fern halten. Der übertriebene Konsum in Chili-Esswettbewerben kann sogar zu gefährlichen gesundheitlichen Schäden führen. In einer medizinischen Fachpublikation wurde von einem Patienten berichtet, der nach dem Genuss eines Burgers mit einer Paste aus einer Geisterchili (Bhut Jolokia) mit einem Riss in der Speiseröhre eingeliefert wurde. Dieser Riss entstand aber nicht direkt durch die Schärfe – bzw. den diese verursachende Wirkstoff Capsaicin – sondern indirekt als Folge eines extremen Brechreizes (Arens et al. 2016). Außerdem geht das durchaus vielfältige Aroma von Chilis (süß, fruchtig oder auch „bonbonartig“) in der brutalen Schärfe völlig unter.

Wie jede Kulturpflanze ist die Chili nicht nur ein lebendiger Organismus und damit ein Teil der (belebten) Natur sondern auch Ausdruck unserer Kultur und damit eben auch der zeitgeistigen Extreme in einer Welt der sozialen und digitalen Medien. Generell scheint sich eine Art moderne Chili-Kultur herauszubilden, mit vielen Online-Foren, Youtube-Videos, Spezialwebseiten und Saatguthändlern. Dies wäre sicherlich mal ein spannendes Feld für ethnobotanische Studien. Auch vergleichende ethnobotanische Studien mit der Chili-Kultur vergangener Zeiten, die es in Mittel- und Südamerika schon seit tausenden von Jahren gibt, wären hochspannend.

Chilis und die superhots haben als Kulturpflanzen aber natürlich nicht nur eine kulturelle Bedeutung sondern auch besondere biologische Eigenschaften, die sich zuerst im Laufe der natürlichen Evolution und später durch Züchtung und der Vermischung mit kulturellen Prozessen entwickelt haben.

Capsaicin: die bio-ökologische Grundlage der Schärfe und ihre kulturelle Einbettung

Die Schärfe von Chilis, die allesamt zur Pflanzengattung Capsicum gehören, ist auf einen ganz speziellen Stoff zurückzuführen, nämlich dem Alkaloid Capsaicin. Capsaicin findet sich meines Wissens nach ausschließlich in der Gattung Capsicum und ist damit für diese ein evolutionäres Alleinstellungsmerkmal (was man in der Biologie als Autapomorphie bezeichnet). Capsaicin bindet an einen speziellen molekularen Schmerz-Rezeptor (TRPV, welcher normalerweise durch Hitze aktiviert wird) an Neuronen von Säugetieren und löst die brennende Schmerzreaktion der Chilis aus.

Der Teil der Chili-Pflanze, den wir nutzen, ist seiner Natur nach eine Frucht also ein Organ, welches die Samen umgibt und die Ausbreitung der Pflanzen fördern soll. Reife Früchte locken durch ihre bunten Signalfarben, wie das Rot reifer Chilis, Tiere an, die dann die Früchte konsumieren, wieder ausscheiden und diese dadurch verbreiten und in neue Lebensräume tragen. Wilde Chilis machen sich genau diesen Mechanismus zu Nutze, um über ihre reifen Früchte Vögel anzulocken. Die Früchte der wilden Chilisorten Chiltepin (C. annuum var. glabriusculum), welche in Mexiko vorkommt, werden z.B. von Vögeln gegessen und so in der Landschaft verteilt.

Das Capsaicin, welches bei Säugetieren in ausreichender Konzentration einen unangenehm brennenden Schmerz erzeugt, verhindert jedoch, dass Säugetiere (z.B. Nagetiere) die Früchte essen. Eine mögliche Erklärung ist, dass Säuger die Samen durch das Kauen und ihre Verdauungsprozesse schädigen und, im Gegensatz zu Vögeln, dadurch keine so guten Verbreitungsvektoren sind (Tewksbury and Nabhan 2001). Aktuelle Studien testen z.B. Capsaicin aus Bhut Jolokia als Beizmittel für wilde Kräuter, die bei der Renaturierung von Ökosystemen eingesetzt werden, um diese gegen Fraß durch Mäuse zu schützen (Pearson et al. 2018). Capsaicin ermöglicht den Chilis also einen selektiven Fraßschutz. Chilifrüchte mit dem roten Fruchtfleisch (welches die Vögel lockt), den Samen (die die Gene der Chili-Individuen und Populationen weitertragen) und das Capsaicin (welches die Säugetiere vertreibt) sind also ein Paradebeispiel adaptiver Evolution, die zu komplexen funktionalen biologischen Systemen, also Organen und Organismen führt, die uns wie absichtsvoll konstruierte Maschinen erscheinen.

Das Kuriose ist natürlich nun aber, das ein besonderer Säuger, der Mensch, eine Vorliebe für Chilis entwickelt hat. Menschen kultivieren Chilis nicht nur in ihren Gärten sondern sammeln auch einige wilde Sorten, wie z.B. Chiltepin und machen diese zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Küche (oder kurioser Esswettbewerbe). Der Mensch hat Chilis über den ganzen Globus verteilt und dürfte mittlerweile mindestens ebenso wie die Vögel zur Ausbreitung von Chilis beigetragen haben.

Erklärbar ist dies wiederum durch die kulturelle Natur des Menschen. Menschen haben für ihre Küche die Kulturtechnik des Würzens entwickelt, also das Verdünnen bestimmter in geringer Konzentration sehr wirksamer Zutaten (Gewürze) mit anderen Zutaten, die den Großteil der Masse eines Mahls liefern (Gemüse, Fleisch, Getreide). Hierdurch wird die enorme Schärfe einiger Chilis reduziert und genießbar.

Capsaicin scheint aber auch ein wirksames Mittel der Chilis gegen Pilze (wie Fusarium) zu sein. So fanden Wissenschaftler heraus, dass bei wilden Populationen von C. chacoense ein höherer Capsaicin-Gehalt mit einer geringeren Befallsrate korrelierte. Außerdem bestätigten Experimente, dass Capsaicin-Extrakte den Pilzbefall von Chili-Samen reduzieren können (Tewksbury et al. 2008). Dies lässt einen zumindest darüber spekulieren, ob Capsaicin nicht als ein interessantes natürliches Pflanzenschutzmittel geeignet wäre.

Die Super-Chilis produzieren das Capsaicin nicht nur, wie normale Chilis, in der Plazenta sondern auch in den Zellen des Fruchtfleisches (Perikarp) und können dadurch mehr Capsaicin produzieren (Bosland et al. 2015). Unter dem Mikroskop kann man kleine Bläschen an der Epidermis der Fruchtinnenseite erkennen, die das Capsaicin speichern.

Die Schärfe der Chilis ist natürlich nicht nur durch die Genetik sondern auch durch die Umwelt bedingt und so schwankt auch die Schärfe der Super-Chili nicht nur mit der genetischen Variabilität der Sorten sondern auch mit der dynamischen Umwelt.

Die dynamische Chili-Vielfalt: Arten VS Genpools

Innerhalb der Gattung Capsicum gibt es fünf domestizierte Arten und circa 30 wild vorkommende Arten. Zu den domestizierten Arten gehören C. annum , C. chinense, C. frutescens, C. baccatum und C. pubescens. Am bekanntesten außerhalb Südamerikas und eingeweihter Chili-Zirkel sind C. Annum (z.B. Cayenne, Jalapeno, Gemüsepaprika), C. chinense (Habaneros, Scotch Bonnet, Geisterchili) und C. fructescens (z.B. Tabasco). C. baccatum (z.B. Lemon Drop, Omnicolor) und C. pubescens (Rocoto) werden vor allem in Südamerika kultiviert und konsumiert.

Die Gruppierung der kultivierten Chili-Arten ist allerdings stark umstritten. Es gibt umfangreiche Studien, die genetisch-deskriptiv oder experimentell den Artstatus durch Kreuzungsversuche untersuchen (eine Übersicht dazu in Eshbaugh 2012). Dabei scheint sich herauszukristallisieren, dass strikte Kreuzungsbarrieren nur zwischen C. pubescens und den anderen Kulturformen existieren. Zwischen C. annumm, C. frutescens und C. chinense scheint eine Verkreuzung relativ einfach möglich, weshalb diese Artengruppe auch als Annum-Komplex bezeichnet wird. Der genetische Austausch zwischen C. baccatum und den Arten des Annum-Komplexes scheint wohl möglich, ist aber eingeschränkter als innerhalb des Artenkomplexes. Eine übersichtliche Abbildung dazu habe ich aus van Zonneveld et al. (2015) übernommen (creative commons attribution license).

Die Arten bzw. Genpools der domestizierten Chili/Paprika. Abbildung aus van Zonneveld et al. (2015), Creative Commons Attribution License.


Kulturpflanzen, wie Chili entstehen oft durch viele Phasen von Kreuzung und Selektion bzw. sich wiederholenden Hybridisierungs-Differenzierungszyklen, welche in einem nur schwer analytisch auflösbaren Geflecht biologisch-genetischer Beziehungen resultieren, die sich einer einfachen Kategorisierung widersetzen.

Die Sorte Bhut Jolokia (Geister-Chili) ist z.B. wahrscheinlich das Resultat einer Hybridiseriung einer C. chinense mit einer C. Frutescens (Bosland und Baral 2007). Viele Sorten sind wahrscheinlich Hybride aus verschiedenen Arten, die entweder durch absichtliche Kreuzung oder aber durch „Kreuzungs-Unfälle“ entstanden sind (Chilis haben eine relativ großen Anteil an Fremdbefruchtung, wenn ausreichend Bestäuber vorhanden sind). Kreuzungen sind auch die absolut notwendige Grundlage für eine stete evolutionäre Weiterentwicklung unserer Kulturpflanzen.

Die Zahl der kultivierten Capsicum-Sorten ist unüberschaubar und das Resultat menschlicher Züchtung, hier ein Link zu einer recht umfassenden Liste.

Starre taxonomisch-systematische Kategorisierungsversuche sind hier wohl zum Scheitern verurteilt. Eine flexiblere Einteilung nach verschiedenen Genpools scheint hier sinnvoller zu sein (Abbildung), die nicht von einer strikten genetischen Trennung von Arten sondern von einem gestuften genetischen Austausch verschiedener Genpools ausgeht. Innerhalb des primären Genpools ist der genetische Austausch ohne Weiteres möglich, mit dem sekundären Genpool ist ein genetischer Austausch möglichen aber unter erschwerten Bedingungen, mit dem tertiären Genpool ist ein genetischer Austausch nur unter besonderen Bedingungen möglich. Dieses Konzept habe ich von Harlan (1992).

In der Fachliteratur hat sich zwar der Begriff der „domestizierten Chili-Arten“ durchgesetzt, man sollte aber im Hinterkopf behalten, das dies nicht der strikten Definition biologischer Arten entspricht (abgesehen von der Art C. pubescens).

Chili-Evolution: Entstehung und Domestikation von Chilis

Die Gattung Capsicum und ihre ersten Arten, wahrscheinlich vor allem Vertreter der sogenannten Andengruppe, sind Produkte der natürlichen Evolution und entstand einigen Autoren nach vermutlich in Bolivien (Perry 2012) oder aber in einem größeren Gebiet entlang der Anden welches, Peru, Ecuador und Kolumbien umfasst (Garcia et al. 2016).

Die vermutlich erste Nutzung wilder Chili-Arten Arten konnte durch archäologische Ausgrabungen von Siedlungen im Tehuacán Valley in Mexico auf ein Alter von 8000 Jahren datiert werden (Smith, 1967, zitiert in Perry 2012).

Durch den Prozess der Domestikation vermischte sich die biologische Evolution der Chilis mit der kulturellen Entwicklung der Menschen. Die ersten Spuren domestizierter Chilis finden sich in Sedimenten, die auf ein Alter von 6000 Jahren datiert wurden. Die genannte Zahlen sind allerdings mit einiger Unsicherheit behaftet, da sie auf indirekter Datierung beruht (Bestimmung des Alters der Chilis über eine Radio-Karbon-Datierung des umliegenden Materials).

Bei den gefundenen Chilis handelt es sich möglicherweise um Pflanzen, die zu dem Annum-Komplex gehören. Neben archäologischen und genetischen Methoden werden interessanterweise für die Ermittlung solcher Zahlen auch sogenannte paläolinguistische Ansätze verwendet, die das Auftreten sprachlicher Repräsentationen als Indiz für die Relevanz einer Pflanze für die menschliche Kultur interpretieren (Kraft et al 2014). Ob die Pflanze dabei aber eine domestizierte oder eine wilde ist, ist meinem Verständnis nach offen. Aus dem Vergleich von Begriffen für Chili in verschiedenen verwandten Sprachen wird eine Ursprache abgeleitet und der Zeitpunkt in dem diese verwendet wurde. Nach diesem Ansatz treten die frühesten sprachlichen Repräsentationen für Chilis im sogenannten Proto-Omanguean vor mindestens 6592 Jahren auf (Brown et al 2013).

Zeichen der Domestizierung bei Chilis sind sind vor allem die im Vergleich zu den Wildformen größeren Früchte und das Verbleiben der Früchte an der Pflanze auch nach der Reife, welches zwar für den Gärtner praktisch aber für eine wilde Chili von Nachteil wäre. Außerdem, so möchte ich hinzufügen, spiegelt die große genetische Vielfalt innerhalb einzelner Arten (die Sortenvielfalt), die menschlichen Züchtungsaktivitäten. Umgekehrt beeinflussten die Chilis natürlich auch die Menschliche Kultur, vor allem natürlich die kulinarische (hierauf gehe ich an dieser Stelle aber nicht im Detail ein).

Die Domestikation der verschiedenen Chili-Arten geschah an unterschiedlichen Orten durch verschiedene Kulturen. C. annum wurde wahrscheinlich in Mexiko domestiziert, C. frutescens in der Karibik, C. bacccatum im Tiefland von Bolivien; C. chinense im nördlichen Tiefland von Amazonien, C. pubescens in mittleren Höhen der Anden (siehe Perry 2012). Allerdings gibt es auch hier kontroverse Standpunkte, was mit den verwickelten genetischen Beziehungen zu tun hat (für eine andere Interpretation siehe z.B. Garcia et al 2016). Sicher scheint aber, nach der von mir gesichteten Literatur, das Chilis mindestens dreimal domestiziert wurden (als C. Annum Komplex, als C. baccatum und als C. pubescens).

Heutzutage wird Chili mit modernen Züchtungsmethoden bearbeitet. Einen spannenden Vortrag zu den durch die Züchtung bearbeitenenden Eigenschaften hält Kevin Crosby (in Englisch).

Die kulturelle Transzendenz der Chilis

Diese Mehrfachdomestikation innerhalb der Gattung Capsicum ist durchaus spannend. Anscheinend fanden verschiedene Kulturen die Schärfe der jeweils bei ihnen vorkommenden wilden Chili-Arten so attraktiv, dass sie diese unabhängig voneinander parallel kultivierten, selektierten und schließlich domestizierten. Die Chilis mit ihrem Capsaicin und seiner brennenden Schärfe scheinen also eine über verschiedene Kulturen hinaus für Menschen interessante Substanz zu sein und zwar schon seit vielen tausend Jahren. In gewisser Hinsicht also transzendieren Chilis verschiedene Kulturen. Auf der anderen Seite werden sie ein integraler Bestandteil verschiedenster Kulturen ohne den man sich diese Kulturen nur noch schwer vor stellen könnte (man denke etwa an eine mexikanische oder indische Küche ohne Chilis, die zwar nur schwer vorstellbar sind, es aber definitiv einmal gegeben hat).

Die Koevolution menschlicher Kultur und der Chilivielfalt hält dabei bis heute an, unter anderem mit dem Resultat der modernen „superhots“ und einer digital vernetzten Chili-Fangemeinde. Man kann beobachten, wie Menschen Leben formen und wie andererseits lebende Organismen, die Chilis, Bestandteil der menschlichen Kultur werden und sich auch in gewisser Weise in diese einnischen. In der modernen Ökologie spricht man auch von Nischenkonstruktion (Laland et al. 2016), durch die Organismen (z.B. die Chilis) ihre eigene Umwelt über lange Zeiträume verändern (in dem Fall die menschlich-kulturelle Umwelt der Chilis) und damit ihre eigene Evolution bedingen (die andauernden Züchtungsanstrenungen der Menschen).

Für einige weitere Infos in Sachen Chili bzw. Capsicum verweise ich auf den Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN), der zu Chilis eine Reihe weiterer Informationen als auch Saatgut über seine Saatgutdatenbank zur Verfügung stellt.

Ein Traum von mir wäre mal eine Reise in die Ursprungsländer der Chilis, mal sehen vielleicht lässt sich da ja was machen…

Und zum Schluss hier noch ein paar Fotos aus unserem Garten. Die Pflanzen kultiviere ich zusammen mit Christel Eissner, einer exzellenten und leidenschaftlichen Gärtnerin, in unserem Garten Querbeet in Leipzig. Einige der Fotos wurden mit dem Makroequipment und der technischen Unterstützung von Marius Brauer fotografiert. Vielen Dank!

Literatur

Arens, A., Ben-Youssef, L., Hayashi, S., & Smollin, C. (2016). Esophageal rupture after ghost pepper ingestion. The Journal of emergency medicine, 51(6), e141-e143.

Bosland, P. W., & Baral, J. B. (2007). ‘Bhut Jolokia’—The world’s hottest known chile pepper is a putative naturally occurring interspecific hybrid. HortScience, 42(2), 222-224.

Bosland, P. W., Coon, D., & Cooke, P. H. (2015). Novel formation of ectopic (nonplacental) capsaicinoid secreting vesicles on fruit walls explains the morphological mechanism for super-hot chile peppers. Journal of the American Society for Horticultural Science, 140(3), 253-256.

Brown, C. H., Clement, C. R., Epps, P., Luedeling, E., & Wichmann, S. (2013). The paleobiolinguistics of domesticated chili pepper (Capsicum spp.). Ethnobiology Letters, 4, 1-11.

Eshbaugh, H (2012) Taxonomy of the genus Capsicum, In Peppers: Botany, Production and Uses, Edit. Russo, V. M. CABI

Carrizo García, C., Barfuss, M. H., Sehr, E. M., Barboza, G. E., Samuel, R., Moscone, E. A., & Ehrendorfer, F. (2016). Phylogenetic relationships, diversification and expansion of chili peppers (Capsicum, Solanaceae). Annals of botany, 118(1), 35-51.

Harlan, J. R. (1992). Crops and man (No. Ed. 2). American Society of Agronomy.

Kraft, K. H., Brown, C. H., Nabhan, G. P., Luedeling, E., Ruiz, J. D. J. L., d’Eeckenbrugge, G. C., … & Gepts, P. (2014). Multiple lines of evidence for the origin of domesticated chili pepper, Capsicum annuum, in Mexico. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(17), 6165-6170.

Laland, K., Matthews, B., & Feldman, M. W. (2016). An introduction to niche construction theory. Evolutionary ecology, 30, 191.

Pearson, D. E., Valliant, M., Carlson, C., Thelen, G. C., Ortega, Y. K., Orrock, J. L., & Madsen, M. D. Spicing up restoration: can chili peppers improve restoration seeding by reducing seed predation?. Restoration Ecology.

Perry, L. (2012). Ethnobotany. In Peppers: Botany, Production and Uses, Edit. Russo, V. M. CABI

Stewart Jr, C., Mazourek, M., Stellari, G. M., O’connell, M., & Jahn, M. (2007). Genetic control of pungency in C. chinense via the Pun1 locus. Journal of Experimental Botany, 58(5), 979-991.

Tewksbury, J. J. and G. P. Nabhan (2001). „Seed dispersal. Directed deterrence by capsaicin in chilies.“ Nature 412(6845): 403-404.

Tewksbury, J. J., Reagan, K. M., Machnicki, N. J., Carlo, T. A., Haak, D. C., Peñaloza, A. L. C., & Levey, D. J. (2008). Evolutionary ecology of pungency in wild chilies. Proceedings of the National Academy of Sciences, 105(33), 11808-11811.

van Zonneveld, M., Ramirez, M., Williams, D. E., Petz, M., Meckelmann, S., Avila, T., … & Libreros, D. (2015). Screening genetic resources of Capsicum peppers in their primary center of diversity in Bolivia and Peru. PloS one, 10(9), e0134663.

Wang, Deyuan, und Paul W. Bosland. „The genes of Capsicum“. HortScience 41, Nr. 5 (2006): 1169–1187.

Weitere Literatur-Empfehlungen

Ein Buch von dem Chiliforscher Bosland rund um das Kultivieren der tollen Pflanzen: DeWitt, D., & Bosland, P. W. (1993). The pepper garden. Ten Speed Press.

Sichere eines der umfassendsten Chili/Paprika-Bücher überhaupt mit vielen Infos zur Entdeckungsgeschichte, Domestikation, Biologie, vielen Abbildungen und umfangreichen Literaturverweisen: Andrews, J. (1995). Peppers: the domesticated Capsicums. University of Texas Press.

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