Der Mythos Hybrid-Sorten: Krönung der Züchtung oder Teufelszeug?

In den letzten Tagen habe ich begonnen mich durch ein super-spannendes Buch durchzulesen. Carol Deppe beschreibt in ihrem Buch „Breed your own vegetable varieties“, wie man mit relativ geringem Aufwand Züchtung betreiben kann. Das Schöne an diesem Buch ist, dass es einerseits sehr praxisorientiert und verständlich ist, dabei aber gleichzeitig viel tiefer geht als ähnliche (auch für Laien verständliche) Publikationen. Gleichzeitig vermittelt es eine kritische Perspektive auf die Züchtungs-Industrie, ohne dabei in flache Parolen zu abzudriften.

Deppe erklärt in Kapitel 9, was es mit den sogenannten Hybridsorten auf sich hat, die einerseits von den Züchtungsunternehmen als Krönung der Züchtung beworben und von den „Ökos“ und Saatgut-Initiativen als Teufelszeug verdammt werden. Deppe räumt mit beiden Klischees in aller Gründlichkeit auf.

Ein vielzitierter Vorteil von Hybridsorten ist das besonders kräftige Wachstum und damit auch ein besonders hoher Ertrag im Vergleich zu samenfesten Sorten. Dies wird in der Biologie als Heterosis-Effekt bezeichnet. Dies gilt aber, wie Deppe erklärt, nur für bestimmte Kulturpflanzenarten, nämlich bei Fremdbestäubern, wie Mais, Raps, Steckrübe oder den verschiedenen Kohlsorten (z.B. Brokkoli, Blumenkohl, Kohlrabi und Weißkohl).

Fremdbestäuber haben natürlicherweise durch die andauernde Verkreuzung verschiedener Individuen innerhalb einer Sorte einen hohen Anteil an heterozygoten Genen. Jede Pflanze trägt also für viele Gene zwei Varianten. Fremdbestäuber sind an diese Situation evolutiv angepasst. Sie brauchen ein Mindestmaß an Heterozygotie. Bringt man Fremdbestäuber zur Selbstbestäubung, nimmt die Heterozygotie ab und die Pflanzen erleiden eine sogenannte Inzuchtdepression. Sie zeigen einen weniger gesunden Wuchs und verringerte Fortpflanzungsfähigkeit. Umgekehrt kann man den Heterozygotie-Grad erhöhen, indem man verschiedene Sorten einer Kulturpflanze kreuzt, und erreicht so ein stärkeres Wachstum und mehr Ertrag. Dadurch sind Hybrid-Sorten, so Deppe, immer allen samenfesten Sorten gegenüber ertragsmäßig im Vorteil, wenn es sich um Fremdbefruchter handelt. Wenn Landwirte, Gärtner und Betriebe auf hohe Erträge angewiesen sind (in industrialisierten Agrarsystemen), können Hybridsorten bei Fremdbefruchtern also durchaus die richtige Wahl sein.

Dies gilt aber eben nicht für selbstbefruchtende Sorten, wie z.B. Tomaten, Bohnen und Erbsen oder auch dem Weizen. Diese sind evolutiv an Selbstbefruchtung und Homozygotie (zwei gleiche Versionen eines Gens) angepasst. Sie erleiden keine Inzuchtdepression bei der Selbstbefruchtung und deshalb kann man durch Hybridzucht auch keinen (oder allenfalls einen sehr geringen) Heterosis-Effekt erzielen. Die besten samenfesten Sorten können es hier mit den besten Hybriden in Sachen Ertrag aufnehmen.

IMG_7086Foto oben: Im Baumarkt wimmelt es nur so vor Hybriden sowohl beim Saagtut als auch bei den Jungpflanzen. Erkennbar ist dies an dem Kürzel „F1“.


Die Frage ist dann aber natürlich, so Deppe, warum es gerade auch bei Tomaten, Kürbissen und Gurken so viele Hybridsorten gibt. Außerdem wird zur Zeit mit viel Ressourcen-Einsatz an der Entwicklung von Hybrid-Weizen, der auch ein Selbstbefruchter ist, geforscht. An dieser Stelle ist der Hauptgrund für die Existenz bzw. die Entwicklung neuer Hybrid-Sorten tatsächlich in der Intention der Züchtungsunternehmen zu vermuten, die Kontrolle über diese Sorten und ihr Saatgut zu gewinnen. Da sich Hybridsorten in den Folgegenerationen genetisch „zerlegen“ (die mendelsche Aufspaltung), lassen sich diese ohne Zugriff auf die Elternsorten, die in den geschlossenen Zuchtgärten der Unternehmen stehen, nicht nachbauen und müssen immer beim Züchter neu erworben werden.

Die Übertragung des Hybrid-Sorten-Konzeptes auf Selbstbefruchter zeigt damit beispielhaft die Perversion einer ursprünglich durchaus guten Idee.

Ein weiterer Aspekt, den Deppe hervorhebt, ist, dass es natürlich auch verschiedene Grade von Fremdbefruchtung bzw. Selbstbestäubung gibt. Einerseits gibt es starke Selbstbefruchter (wie Weizen, die meisten Kulturtomaten und Bohnen), andererseits recht strikte Fremdbefruchter wie Kohl und Mais. Dagegen haben z.B. Chilis, die oft als Selbstbefruchter gehandelt werden, eine durchaus ordentliche Auskreuzungsrate von 30-70% (Bosland 1993). Auch innerhalb einer Kulturpflanzenart kann die Selbstbefruchtungsrate variieren, wie z.B. bei der Tomate. Insbesondere wilde Tomaten haben eine relativ hohe Auskreuzungsrate und auch Kultursorten, die aus Kreuzungen mit Wildsorten hervorgingen. In diesem Fall wäre also auch mit einer mittelstarken Inzuchtdepression und einem Heterosis-Effekt zu rechnen. Wo Variation ist, kann man auch selektieren und es ist zumindest denkbar, dass man einen überwiegenden Fremdbefruchter mehr Richtung Selbstbefruchter züchtet. Dies hat der Mensch vermutlich unbewusst im Laufe der Domestikation der Tomate schon getan. Ob sich Hybridzucht lohnt, hängt also vom konkreten Ausmaß der Fremdbefruchtung ab und ob die Stärke des Heterosis-Effektes den hohen Aufwand der Hybridzucht rechtfertigt.

Einen Sonderfall stellen, nach Deppe, anscheinend die Kürbisgewächse (Cucurbitacea, dazu gehören Kürbisse, Gurken und Melonen) dar, die zwar Fremdbefruchter sind, aber dennoch keine Inzuchtdepression erleiden. Damit wäre auch hier nicht mit einem Heterosis-Effekt zu rechnen.

Ein weiterer spannender Aspekt ist, dass es sich bei vielen Hybridsorten, die man als Saatgut oder Jungpflanzen im Handel findet, möglicherweise nicht einmal um Hybride handelt. Deppe stellt die These auf, dass einige Unternehmen die Bezeichnung “F1-Hybrid“ lediglich als Abschreckung vor dem Nachbau verwenden, z.B. bei Tomatensorten. Dies kann man tatsächlich einfach testen: entweder genetisch oder aber durch den Nachbau solcher Sorten. Wenn die Nachfolgegenerationen sich nicht in verschiedene Typen aufspalten, handelt es sich nicht um Hybriden (oder die Hybridisierung wurde nur für „unsichtbare“ Eigenschaften, wie Krankheitsresistenz durchgeführt).

Handelt es sich um Hybriden, lassen sich aus diesen auch wieder samenfeste Sorten entwickeln, durch die sogenannte Dehybridisierung.

Noch einen (aus „Öko-Sicht“ provokanten) Schritt weiter geht Deppe, wenn sie darüber spricht, dass es möglich sein sollte Hybrid-Sorten zu entwickeln, die speziell an die Bedingungen ökologischer Landwirtschaft angepasst sind.

Hiermit zeigt sich, dass Sorten und auch Sortentypen (Hybride V.S. Samenfeste V.S. Klonsorten) per se nicht gut oder schlecht sind, sondern im Gesamtkontext eines Anbausystems, bzw. eines Biokultursystems, bewertet werden müssen.

Für alle, die sich jenseits von Klischees und Mainstream mit Züchtung befassen wollen, bietet Deppes Buch einen spannenden Einblick und vor allem die Grundlage für eigene Experimente.

 

Literatur

DeWitt, D., & Bosland, P. W. (1993). The pepper garden. Ten Speed Press.

Deppe, C. (2000). Breed your own vegetable varieties: The gardener’s and farmer’s guide to plant breeding and seed saving (p. 270). White River Junction: Chelsea Green Publishing.

2 Antworten auf „Der Mythos Hybrid-Sorten: Krönung der Züchtung oder Teufelszeug?

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  1. Hey Johannes,

    hättest Du Bock das coole Buch am Wochenende mit nach Bingenheim zu bringen?

    Das fände ich super!

    Danke und liebe Grüße,

    Max

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